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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0040
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Friedrich Brie:

Beyle (1783—1842), der sich unter dem Einfluß der französischen
Aufklärer entwickelte, aber als Nachfahre Rousseaus durch eine
angeborene starke Sensibilität und manchen sentimentalen Zug
über diese Richtung hinauswuchs. Auf der andern Seite hat
er als Mensch der Tat, als energische, willensstarke Natur mit
seinem Hang zum Wahren und Wirklichen nur wenig Be-
rührungspunkte mit den romantischen Exotisten und deren pas-
sivem Schwelgen in Empfindungen, Gefühlen und Phantasien.
Für seine nüchterne, aller Träumerei und allem Theatralischen
abholde Veranlagung ist die farbenprächtige Wunderwelt des
Orients überhaupt nicht vorhanden. Am ehesten erinnert er
an Heinse, den Vorläufer der deutschen Romantiker, mit dem
er sich in der Bewunderung der leidenschaftlichen und ener-
gischen Persönlichkeit und in der Verachtung der Gegenwart
trifft, von dem er sich aber durch seinen hon sen-s unterscheidet.
Ähnlich wie Heinse sah er in seiner Zeit als Folge der Zivili-
sation nur noch Konvention und keine Energie mehr, keine
Leidenschaft und keine Individualität. In der Bewunderung
dieser Eigenschaften geht er bis zur Verteidigung von Wildheit
und Grausamkeit. Die Abneigung gegen seine Zeit steigert sich
bei ihm — nicht ohne Pose — einmal bis zu dem Wunsche, im
18. Jahrhundert gelebt zu haben, das nach seiner Ansicht die
oben genannten Eigenschaften noch besaß, zum andern zur
blinden Bewunderung aller Zeiten und Völker, bei denen er eine
entsprechende naive „Energie“ zu erkennen glaubt. Wie andere
Exotisten sich ein Wunschbild des Orients oder der Antike ent-
werfen, so steigert er sich Italien zu einem gelobten Lande der
„Energie“. Seine Begeisterung gilt dabei gleichmäßig sowohl
dem modernen Italien, wie dem Italien der Renaissance.. In
dem modernen Italiener sah er die dem modernen Franzosen
überlegene, originellere, natürlichere und energischere. Rasse;
gerade im niederen Volke fand er hier das freie Bekenntnis zur
Leidenschaft, das seiner konventionellen Zeit abging, und er
dachte zeitweilig ernstlich daran, eine Histoire de Venergie en
Italic zu schreiben. Schon in der Histoire de la Peinture en
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Italic (1817) kontrastiert er gern den Italiener und den Nord-
länder (z. B. Kap. 86) oder die kleinen Fürsten der italienischen
Renaissance mit den modernen Herrschern (z. B. in der Ein-
leitung) ; hier schon begeistert er sich für Cellini und Machia-
velli oder berichtet er mit Vergnügen die blutigen Taten der
 
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