64
Friedrich Brie:
wollen, nichts zu fühlen, schlafen und noch einmal schlafen,
das ist heute mein einziger Wunsch, ein infamer und ab-
stoßender, aber aufrichtiger Wunsch.“121 ,
Mit dem Exotismus Baudelaires nah verwandt erscheint der
seines Freundes Josephin Soulary (1815—1891). Nach der
Lektüre von Baudelaires Paradis artificiels schreibt er dem Ver-
fasser einen Brief, worin er sich als seinen geistigen Bruder
vorstellt.122 Die Bilder von den Qualen eines Opiumessers hätten
ihn berührt wie Wiederholungen selbsterprobter Empfindungen.
Seine ausgesprochene Begabung, sich gewissen nervösen, krank-
haften oder selbst wahnsinnigen Naturen anzupassen, lasse ihn
bisweilen denken, daß er Erinnerungen spüre an frühere Leben,
die er in seltsamer Gesellschaft, in fremden Welten und in toller
Umgebung zugebracht hätte. In den Stunden des ennui habe
auch er sich bisweilen in die imaginären Welten des Opiums
geflüchtet. Eine dementsprechende exotistische Veranlagung ver-
raten auch seine Dichtungen, ohne daß wir aber im einzelnen
erfahren, was er in seinen Opiumvisionen suchte und fand. In
dem oben genannten Briefe teilt er mit, daß er um 1860 herum
eine kleine Dichtung, Le Reve du chanvre, plante. Hier wollte
der Dichter beschreiben, wie nach dem Genuß von Haschisch
der Gott des Hanfes ihm der Reihe nach alle Geheimnisse seiner
Verwandlungen offenbart, den Strick des Gehängten einge-
schlossen. Andere seiner Gedichte feiern das Opium in über-
schwenglichen Tönen. Das Sonett La Pipe123 schildert, wie der
Tod das Geheimnis der Opiumpfeife ergründen will und vom
Genuß beseligt sich selbst verleugnet:
La Mort gaiment cria: „Mensonge que la miort!“
In LjE Reve de la Pipe (a. a. 0., Nr. 108) überwindet der Genuß
des Narkotikums Baum und Zeit:
Blonde fee, 6 Vapeur! monte et berce mos sens;
L’äme ä son foyer p'ur viole avec ton encens;
Motnde-atiome, eile etreint ITnfini cfui l’emhrasse!
Ähnlich begeisterte Töne werden laut in dem Gedichtzyklus-
L'Hydre, im zweiten „Kopf“ (a. a. 0. I, S. 144):
121 Unveröffentlichtes Vorwort zu den Fleurs du Mal vom Jahre 1860.
CREPET, a. a. 0., S. 5.
123 Brief vom 5. Juni 1860. Vgl. oben S. 62 Anm. 114.
123 Oeuvres poetiques. Premiere partie. Sonnets (1847—71), Nr. 105.
Friedrich Brie:
wollen, nichts zu fühlen, schlafen und noch einmal schlafen,
das ist heute mein einziger Wunsch, ein infamer und ab-
stoßender, aber aufrichtiger Wunsch.“121 ,
Mit dem Exotismus Baudelaires nah verwandt erscheint der
seines Freundes Josephin Soulary (1815—1891). Nach der
Lektüre von Baudelaires Paradis artificiels schreibt er dem Ver-
fasser einen Brief, worin er sich als seinen geistigen Bruder
vorstellt.122 Die Bilder von den Qualen eines Opiumessers hätten
ihn berührt wie Wiederholungen selbsterprobter Empfindungen.
Seine ausgesprochene Begabung, sich gewissen nervösen, krank-
haften oder selbst wahnsinnigen Naturen anzupassen, lasse ihn
bisweilen denken, daß er Erinnerungen spüre an frühere Leben,
die er in seltsamer Gesellschaft, in fremden Welten und in toller
Umgebung zugebracht hätte. In den Stunden des ennui habe
auch er sich bisweilen in die imaginären Welten des Opiums
geflüchtet. Eine dementsprechende exotistische Veranlagung ver-
raten auch seine Dichtungen, ohne daß wir aber im einzelnen
erfahren, was er in seinen Opiumvisionen suchte und fand. In
dem oben genannten Briefe teilt er mit, daß er um 1860 herum
eine kleine Dichtung, Le Reve du chanvre, plante. Hier wollte
der Dichter beschreiben, wie nach dem Genuß von Haschisch
der Gott des Hanfes ihm der Reihe nach alle Geheimnisse seiner
Verwandlungen offenbart, den Strick des Gehängten einge-
schlossen. Andere seiner Gedichte feiern das Opium in über-
schwenglichen Tönen. Das Sonett La Pipe123 schildert, wie der
Tod das Geheimnis der Opiumpfeife ergründen will und vom
Genuß beseligt sich selbst verleugnet:
La Mort gaiment cria: „Mensonge que la miort!“
In LjE Reve de la Pipe (a. a. 0., Nr. 108) überwindet der Genuß
des Narkotikums Baum und Zeit:
Blonde fee, 6 Vapeur! monte et berce mos sens;
L’äme ä son foyer p'ur viole avec ton encens;
Motnde-atiome, eile etreint ITnfini cfui l’emhrasse!
Ähnlich begeisterte Töne werden laut in dem Gedichtzyklus-
L'Hydre, im zweiten „Kopf“ (a. a. 0. I, S. 144):
121 Unveröffentlichtes Vorwort zu den Fleurs du Mal vom Jahre 1860.
CREPET, a. a. 0., S. 5.
123 Brief vom 5. Juni 1860. Vgl. oben S. 62 Anm. 114.
123 Oeuvres poetiques. Premiere partie. Sonnets (1847—71), Nr. 105.