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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0068
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68

Friedrich Brie:

Wie ein 'schwacher Nachklang zu Leconte de Lisle mutet
der Exotismus bei Theodore de Banville (1823—1891) an.
Dem lebensfreudigen Dichter, der sich überall zu Hause fühlt,
fehlt die nötige Stärke der Empfindungen. Statt der Scheidung
zwischen Gegenwart und Antike, die bei den anderen Exotisten
so scharf bervortritt, herrscht bei ihm der Wunsch, die beiden
Welten miteinander zu vereinigen. Die exotistischen Züge, die
ihn von der Schar der sonstigen Neo-Hellenisten trennen, sind
demgemäß nicht ohne weiteres erkenntlich. Sein Sinn für Schön-
heit und das Gefühl, daß in der heutigen Welt Mensch und Natur
auseinanderfailen, läßt ihn von Jugend auf mit sehnsüchtigen
Augen nach dem alten Griechenland blicken. Schon mit 18 Jahren
läßt er in dem Gedicht Prosopopee d’une Venus (1841) die Mar-
morstatue der Venus die geschwundenen lichten Tage beklagen,
wo man sie Venus Astarte nannte und ihr Leib in der ge-
samten Natur lebte. Wie leer ihm die heutige Welt ohne die
griechischen Götter erscheint, lehrt am besten das unter Heines
Einfluß entstandene Gedicht L’exil des dieux (1865), wo unter
dem Kaiser Constancius die alten Götter verbannt werden und-
nun als Verbannte, zerfetzt, verwundet und sterbend an der
Küste Galliens anlangen. Die erzürnte Venus verkündet, wie von
jetzt an für den Menschen, den Mörder der Götter, die Natur leer
und stumm sein wird, wie die Poesie, die Freude und die Liebe
von nun an für ihn geschwunden ist und statt dessen Häßlich-
keit und Schmerz herrschen werden. Aber der Dichter hält den
Gegensatz zwischen Gegenwart und Griechentum nicht fest;
er findet eine Brücke zwischen dem heidnischen Polytheismus
und dem Christentum, indem er mit Hilfe einer kühnen Aus-
legung in den antiken Mythen, besonders denen der leidenden
Heroen, den Kern des Christentums entdeckt. So werden für
ihn allmählich die Griechen zu den geistigen Vorfahren der mo-
dernen Welt, die er durch seine vielen, an die griechische
Götter- und Heroenwelt anknüpfenden Dichtungen seiner Nation
nahe zu bringen sucht. Obwohl er in seinen Dichtungen sogar
Antike und Moderne, Heidnisches und Christliches, zusammen-
bringt, zeigt er daneben doch auch immer wieder die den Exo-
tisten eigentümliche Bewunderung der reinen Sinnenlust des
Heidentums mit dem Kontrast zur modernen Welt.. Schon in
dem Gedicht A Auguste Supersac (1842) malt er sich fern von
dieser faden Gegenwart eine ideale, müßige und heitere Welt
 
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