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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0008
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E. Frh. v. Künssberg:

Väterbrauch, geheiligt durch Alter, im Gedächtnis eingegraben
von den Kindertagen an. Das angeborene Recht wurde sozusagen
spielend gelernt und geübt; wenn die bestimmten Altersstufen
für die verschiedenen Berechtigungen erreicht waren, so war kaum
eine weitere Unterweisung nötig.
§ 4. Die zufällige und freiwillige Anwesenheit der Jugend bei
rechtlichen Vorgängen war in der Regel nicht nur geduldet, sondern
sogar gerne gesehen. Sehr häufig aber war die Beteiligung, die
Mitwirkung von Kindern geradezu gefordert; es sollten „einige
Kinder“, „etliche Schulknaben“, „die ganze Dorfjugend“, „die
Schulkinder“ hinzugezogen werden.
Zu welchem Zweck mußten Kinder teilnehmen ? Die Gründe
sind sehr verschiedener Art und im Einzelfalle, haben oft deren
mehrere zusammengewirkt, ja man hat sich wohl nicht immer
Rechenschaft gegeben, weshalb man auf die Anwesenheit der
Jugend Wert legte.
§ 5. Die Teilnahme am Rechtsleben kann im Interesse des Kindes
erwünscht sein, z. B. zu seiner Belehrung über den Verlauf der
Stadtgrenzen oder um es von Verbrechen abzuschrecken, oder
auch bloß um ihm eine Freude zu machen. Häufiger scheint.es
einfach das öffentliche Interesse zu sein, weshalb Kinder zur Mit-
wirkung veranlaßt werden; sei es nun, daß man den Unvordenk-
lichkeitsbeweis möglichst sichern wollte, sei es, daß man aus reli-
giösen Gründen von der glückbringenden Kinderunschuld sozu-
sagen rechtlichen Gebrauch machte oder gar, daß man ganz nüch-
tern die Kinder zu kleinen öffentlichen Diensten heranzog, die sonst
ein Erwachsener hätte machen müssen. Aber auch diese stell-
vertretende' Arbeitsleistung, z. B. durch Botengänge, ist doch so,
daß das Kind sie spielend erledigt, selbst wenn es sie ernst oder
gar überernst auffaßt. Schließlich scheint in einigen Fällen bloß
die Erhöhung der Feierlichkeiten, der Rechtsförmlichkeiten, Zweck
der ganzen Umstände gewesen zu sein. Für die Beteiligung pflegt
die Jugend durch kleine Geschenke, eine Münze, Essen oder Trinken
belohnt zu werden.
§ 6. Hauptfälle für die Mitwirkung der Kinder sind Grenzbegehung,
Strafvollzug, Losziehen, Botengehen. Diese vier Gruppen1 bilden
1 Doch kommen auch andere Fälle vor. So wie noch heute Kinder bei
den Schweizer Landsgemeinden dabei sind, so werden sie vielleicht auch in
früheren Zeiten an Versammlungen teilgenommen haben. Über Anwesenheit
im Gericht vgl. unten § 37.
 
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