Metadaten

Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0009
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Rechtsbrauch und Kinderspiel.

9

gleichzeitig die typischen Fälle für die Gründe der Heranziehung
von Kindern bei rechtlichen Akten, womit natürlich keineswegs
gesagt sein soll, daß nicht auch andere Gründe im Einzelfall oder
bei der ganzen Gruppe mitspielen. Beim Grenzzug ist es vor-
wiegend der Wunsch, den Gedächtniszeugen-Beweis zu sichern,
beim Strafvollzug will man die beteiligte Jugend vor allem ab-
schrecken, beim Losziehen ist die glückbringende Unschuld der
Kinder das Ausschlaggebende, bei Botengängen und anderen Dien-
sten ist es die Gelegenheit, sich bei Rechtspflichten durch Kinder
vertreten zu lassen. Die folgende Darstellung wird daher zweck-
mäßig mit der Erörterung der verschiedenen Mitwirkungsfälle be-
ginnen, dann auf die Mitwirkungsgründe eingehen und mit dem
Entgelt für die Beteiligung schließen, wobei aber um Wieder-
holungen möglichst zu vermeiden, der Einteilungsgrund nicht all-
zustreng durchgeführt werden kann.
Der häufigste Fall der Mitwirkung von Kindern bei Rechts- § 7.
handlungen ist wohl ihre Beteiligung beim Grenzumgang. Wie
solche feierliche Grenzbegehungen aus rechtlichen und religiösen
Gründen vorgenommen werden, so werden auch die Kinder dabei
zu verschiedenen Zwecken mitgenommen. Sie sollen sich die Gren-
zen merken im allgemeinen und im eigenen Interesse1, sie sollen
ferner bei der kultischen Weihe2 der Grenzen mitwirken. Als
Grund wird freilich immer wieder nur die Gedächtniszeugenschaft,
die Erinnerung angegeben3, die religiöse Seite tritt zurück4. So
1 In der Gothaer Schulordnung von 1657 wird ausdrücklich vorge-
schrieben, daß die Kinder in der Schule die Grenzsteine und Malbäume kennen
lernen sollen. Schwan old, Gesetzeskunde in den lippischen Volksschulen am
Ende des 18. Jahrhunderts. Ztschr. 1. Gesch. d. Erziehung und des Unter-
richts 4 (1914), 296. Vgl. ebda. 305. Die kleinen Hirtenjungen z. B. mußten
den Umkreis kennen, den sie nicht überschreiten durften; vgl. unten S. 17
Anm. 3. Dazu kam natürlich noch der Hinblick auf die Zukunft. Bei Grund-
stückübereignungen wurden die Kinder als künftige Erben mitgenommen.
2 Vgl. Franz-, Benediktionen des Mittelalters, 1909, II, 7ff.; Andree,
Braunschw. Volksk.2, 358f.
3 Z. B. etliche claine knaben, damit si auch dessen künftig kuntschaft geben
künnen ÖsterrW. VIII, 842, damit si dessen konftig ein angedenken halben
ÖsterrW. VII, 428; vgl. ebd. VII 392, 513, XI 87 u. ö. Die Beispiele ließen
sich häufen.
4 Vgl. unten § 42. Für unsere Zwecke ist die Unterscheidung zwischen
den rituellen Flurumgängen und den weltlichen Grenzbegehungen meist neben-
sächlich. Vgl. Stütz ZRG. 33 (1899), 327. Die Verquickung zeigt sich auch
in evangelischen Gegenden noch darin, daß Kirchenlieder gesungen werden.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften