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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0010
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E. Frh. y. Künssberg:

§ 8- wichtig erschien ihre Anwesenheit, daß die Kinder bisweilen in
den Mittelpunkt der ganzen Handlung gerückt wurden. Allerlei
Nebenumstände mögen beigetragen haben, den Flurumgang be-
sonders im Gedächtnis haften zu lassen. Geheimnisvolle Anspie-
lungen älterer Geschwister, nur halb verstandene Erzählungen der
Erwachsenen haben schon eine Zeit lang vorher die Phantasie der
Kinder erregt und die Neugierde in Spannung gehalten. Grenz-
sagen von Grenzfrevel, Grenzspuk, von Kegelspiel mit dem Teufel
an der Grenze, von Marksteinverrückern, die nach ihrem Tode als
Irrwisch umgehen oder den Grenzstein nächtlicherweile an die
rechte Stelle schaffen mußten, bildeten den unerschöpflichen
Gesprächsstoff als Vorbereitung und als Kurzweil auf dem Wege
selbst. Wenn dann bei der Rechtshandlung den festlich geklei-
deten Kindern die einzelnen Grenzpunkte, Steine, Bäume, Hage
und Raine, Gräben und Bäche gezeigt werden, gab es reichlich
Anlaß1 zur Überlieferung der Flurnamen, Gelegenheit zum anschau-
lichen, lebendigen Heimatunterricht in der Ortsgeschichte, nicht
zum wenigsten auch in den Rechtsverhältnissen an den einzelnen
Stücken der Flur. Den Kindern wurden ihre Rechte, ihre An-
sprüche gewiesen. An wichtigen und geeigneten Stellen machte
der Zug Halt.
§ 9. Und nun kam der Höhepunkt, das außerordentliche Ereignis
des Tages, das besonders darnach angetan war, das Gedächtnis
zu stärken, der unvergeßliche Eindruck eines unerwarteten, über-
raschenden Geschehnisses, der für alle Zukunft sich im Gedächtnis
mit der Erinnerung an den Grenzbegang und an den einzelnen
Z. B. bei dem Wiesengang in Worms (1540 bis 18. Jhd.) bei dem man ,,aus
allen Schulen junge Leute zu dem Gräntzen-Umgang zog, damit sie in der Zukunft
von der Stadt Gränzsteinen, Gerechtigkeiten auch Strittigkeiten Wissenschaft
bekämen.“ Becker, Der Wiesengang, ein Jugend- und Volksfest, in seinen
Beitr. z. G. d. Stadt Worms, 1880, S. 105 ff.
1 MagdebPolO. c. 30, §2: Es soll eine jede Gemeinde mit Zuziehung
ihrer Jugend vor oder nach den Tagen Walpurgis und Michaelis oder welches
Tages es jedem Ort bequem ist einmal des Jahres ihre Markgrenzen umziehen,
alles wohl bewarschauen, die verfallenen Grenzen und Malsteine . . . erneuern,
die Alten denen Jungen davon Bericht tun usw. Hellfeld, Repert. jur. priv.
1760, III, S. 1779. Ebenso die Mainzer Landordnung 1795, VI, §2: alle
Jahre mit der Jugend männlichen Geschlechts ihre Gemarkung ohnentgeltlich
umgehen, und des Orths Jugend die Gräntze und Mahle ihres Orths Gemarkung
zeigen, selbige darzu anweisen und erinnern, auch wie und wann solches geschehen,
einem besonderen Gerichtsbuch einverleiben. W. Müller, Hess. Grenzrechts-
altertümer, Hess. Ghr. 2 (1913), 211.
 
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