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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0012
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E. Frh. v. Künssberg:

die Erwachsenen vor Schabernak nicht sicher1, wie viel weniger
natürlich die Jugend.
§ 10. Manches was als ein heiterer Scherz aussah, mag der unver-
standene Rest einer älteren ernsten Handlung gewesen sein. So
erklärt sich wohl folgender Brauch, den Wigand und nach ihm
Grimm aus dem Paderbornischen erzählt. Unweit einer Mühle
stand ein Grenzstein. Wenn der Grenzzug sich nahte, so mußte
der Müller herzueilen und mit einem aus dem Zug auf dem Stein
Karten spielen; hiebei hatte er jedesmal anzugeben, welche Karte
das Jahr zuvor Trumpf gewesen war, und eine Strafe zu erlegen,
wenn er sich irrte2. Das Kartenspiel ist wohl an die Stelle eines
alten Loses getreten. Es war eine keineswegs selten geübte Ge-
wohnheit, Grenzstreite durch das Los, Spiel oder Ordalien zu ent-
scheiden3. Dies ist ja naheliegend und wird auch durch Volkssagen
bestätigt4.
Heute sind von den Rechtsbräuchen der Grenzbegehung wohl
nur wenige erhalten; überall aber lebt in der Kinderseele eine
heilige Scheu vor der Grenze. Die Linie, die das Heimische, Ver-
traute, das Eigene scheidet vom Unbekannten, Fremden, Andern
wird mit gewisser abergläubischer Spannung betreten, mit Aben-
teuerlust überschritten. Wer erinnert sich nicht des Tages, an dem
er als Kind das erstemal eine Landesgrenze oder gar Reichsgrenze
bewußt passierte! Und wer beobachten will, wie geläufig Kindern
der Grenzbegriff, der Begriff des eigenen Wirkungs- und Rechts-
bereichs ist, der braucht sie nur hei ihren Spielen zu belauschen
und er wird sehen, daß sie unter sich dabei sehr strenge sind.
§11. 3. Die Strafen wurden in früheren Zeiten fast immer öffent-
lich vollzo.gen. Da ist es selbstverständlich, daß die Kinder in
Scharen mitliefen, sich hinstellten und das schaurige Schauspiel
werkern, Studenten und sonst üblich ist, damit in Zusammenhang zu bringen?
Becker, Pfälzer Frühlingsfeiern, HessBlVk. 6 (1907), 166f.; Usener, Vor-
träge 155.
1 Vgl. § 27.
2 RA.4 II, 75.
3 Grimm, Von der Poesie im Recht (KISchr. 6, 183f.).
4 Nach einer Salzburger Sage haben an einer 3 Herren-Grenze die Herren
um ein kleines Stück Grund Karten gespielt. Vgl. auch den Eintrag in einer
Grenzbeschreibung von 1611 (bei Strnadt, Grenzbeschreibungen, S. 759).
,,Da hat es ein kheglstatt, so zwischen disen drei Land Gränizen ligt, auch stritig,
da soll ein Lauer dem Teufel ein Paar Stifl mit Keglscheiben haben angewonnen,
ut fabulantes Agricolae hujus loci“.
 
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