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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0013
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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einer Leibes- oder Lebensstrafe mit ansahen, noch mehr aber das
oft vergnügliche einer Ehrenstrafe, bei welcher der Kinderspott ja
dazu gehörte. Das paßt ganz zur mittelalterlichen Abschreckungs-
theorie. Wenn einer im Trillhäuschen (einem drehbaren Käfig)
saß, wird die Jugend nicht gefehlt haben, die ihn mit unerbittlicher § 12.
Lust trillte, gleichgültig ob es ein Geisteskranker oder ein Übel-
täter war, ebenso hat der Schandkorb, die Geige, der Bagstein und
die ganze lange Reihe von Ehrenstrafen zum Necken, Zunge-
herausstrecken,' Spottversesingen usw. herausgefordert. Bisweilen
ist die Beteiligung der Kinder nicht bloß erwünscht, sondern sogar
rechtlich gefordert und geregelt. Es wird dafür gesorgt, daß den
Buben die Wurfgeschosse nicht fehlen, mit denen sie nach dem
Bestraften werfen sollen. Der Verurteilte muß die faulen Eier
und Äpfel entweder selbst liefern oder doch für die Kosten auf-
kommen1. Für diese „Amtshandlung“ gabs Wein zum Gedächtnis.
Mag sein, daß in einzelnen Fällen das Mithelfen beim Strafvollzug
von heilsamer Wirkung war und die Jugend später von Rechts-
übertretungen abgehalten hat. In der Hauptsache wird wohl Ver-
rohung der Kinder die spürbarste Folge solcher öffentlichen Dienste
gewesen sein, die bestenfalls eine Brücke zur Volksjustiz bildete.
Die Strafverschärfung aber, die war gewiß eine außerordentliche;
die Ehrenstrafe viel empfindlicher. — Nicht einmal von der Betei-
ligung an Hinrichtungen hielt man Kinder zurück, sondern man § 13.
schloß am Vollstreckungstage die Schulen, damit ja der Jugend
der Anblick nicht entgehe2. Man betrachtete eine Exekution als
ein pädagogisches Schauspiel, zu dem Schulmeister und Schul-
kinder aufgeboten werden mußten3. Nicht genug an dem, man zog
die Kinder heran zur Mitwirkung. Da die Hinrichtungen in den
Jahrhunderten der Neuzeit geradezu Volksschauspiele, Volksfeste
waren, die wohl mehr zur Befriedigung der Schaulust als zur Ab-
schreckung4 geeignet waren, so fand man es für schicklich, daß
unschuldige Kinder Sterbelieder sangen, um die Feier eindrucks-
1 v. Kt)n.ssberc, Strafe des Steintragens, S. 24 f.
2 Vgl. Günther, Strafrechtsreform im Aufklärungszeitalter, ArchKri-
minalanthrop. 28 (1907), 164. FI. Chr. Andersen erzählt im 3. Kapitel des
„Märchen meines Lebens“, daß in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts
sein Schulrektor der obersten Klasse frei gab, damit diese eine Hinrichtung
sehen konnte.
3 Bentham, Theorie des peines et des recompenses I 39 nach
Pfenninger, Schweizerische Zertschr. f. Strafrecht 31 (1918) 368.
4 Am ehesten noch wenn Zuschauer dabei mitgeprügelt wurden! Vgl. §26.
 
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