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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0014
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E. Frh. v. Künssberg:

voller zu gestalten1, und wenn der dem Tode Geweihte noch von
der Richtstatt herunter eine fromme Ansprache an das Volk hielt,
so wendete sich die ,,Moral von der Geschichte“ auch hauptsäch-
lich an die Jugend.
14. Als eine sinnlose Verwirrung erzieherischer Gedanken, wie sie
wohl nicht mehr überboten werden kann, könnten wir die Ein-
richtung des Prügeljungen2 bezeichnen, wenn er tatsächlich nach-
weisbar wäre. Auch da eine Anwesenheit bei Strafvollstreckung,
allerdings eine Strafvollstreckung am Unschuldigen für Missetaten,
die der Zuschauer begangen hat. Der Anblick sollte wohl als Strafe
gelten.
15. 4. Kinder als Gedächtniszeugen heranzuziehen hat einen guten
Sinn. Freilich legt man in - scheinbarem Widerspruch hierzu bei
Aussagen in rechtlichen Dingen besonders Wert darauf, das hohe
Alter des Aussagenden hervorzuheben; es wird z. B. ausdrücklich
gesagt, der Zeuge sei 80 Jahre, ungefähr 76 Jahre, 86 Jahre3,
100 Jahre4 usw., denn ,,die eheste gemeindsmöner haben umb der
gemeind sacken und alten gebreuchen die meiste Wissenschaft“5. Wenn
aber der Greis über das uralte Herkommen, über die Unvordenk-
lichkeit einer Tatsache berichten sollte, so war es zweckmäßig,
schon die Kinder damit bekannt zu machen, wovon sie im Alter
16. zeugen sollten. Auf solche Weise wurde die Frist des „Menschen-
gedenkens“ bewußt erweitert, eine Brücke geschlagen von der
Kindheit zum Alter, die Tradition vom Ahnen zum Enkel gesichert.
Was einer als Kind vom Großvater erfuhr, gab er als Ahne den
Enkeln weiter, indem er ihnen berichtete wie es vor langen Jahren,
in seiner Kindheit gewesen sei6. Das mutet an wie ein Seitenstück
zu der Tatsache, daß auch in unserer Sprache „Enkel“ den kleinen
1 Renger, Hinrichtungen als Volksfeste. Süddeutsche Monatshefte 10
(1913), S. 8ff. Vgl. z. B. den Kupferstich aus dem 17. Jhd. bei Heinemann,
Richter und Rechtspflege, S. 98.
2 Vgl. Rochholz, Alem. Kinderlied, S. 536; Boesch, Kinderleben,
S. 95; Kluge, Etym. WB.8, S. 352; Münch, Theorie der Fürstenerziehung
im Wandel der Jahrhunderte. Mitt. f. Erziehungs- u. Schulgeschichte 18
(1908), 257.
3 BadW. 34ff., 76 u. a. m.
4 Ein Mann von etwa 100 Jahren sagt eidlich aus was er von seinem Vater,
der auch ein 100jähriger Mann gewesen, erfahren. 1487 Kundschaft über den
Wald zu Hägbach (bei Schiltach). Grimm W. 1, 399f.
5 WürttLändlRQ. I, 305.
8 Vgl. z. B. das Grenzweistum von Steinbach in Hessen von 1492
(Grimm W. 3, 351). Da berichtet ein 60jähriger Mann, er habe vor 53 Jahren
 
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