Rechtsbrauch und Kinderspiel.
15
Ahnen bezeichnet, und daß nach dem Volksglauben die Seele des
Großvaters im Enkel fortlebt* 1, sodaß man auch gerne den Kindern
die Taufnamen der Großeltern gibt; dieser Volksglaube beruht
wohl auf der richtigen Beobachtung, daß häufig Eigenschaften
des Großvaters mit Überspringen einer Generation im Enkel auf-
leben. Der Wert der Greisenaussagen über kindliche Erinnerungen
ist um so größer, als im Alter die Jugenderinnerungen wieder beson-
ders lebhaft und farbenfrisch werden.
Es war ein Grundsatz des germanischen Rechts, daß der Zeuge § 17.
eines Rechtsgeschäftes von der Partei zum Sehen und Hören
aufgefordert wurde. Dieses Auffordern geschah durch Wort und
Werk2. Der Zeuge wurde gezogen. In den bayerischen Urkunden
ist von testes per aures tracti die Rede. Man denkt dabei an ein § 18.
Ohrenzupfen, Ohrenpfetzen oder Ziepen3, das auch bei Griechen
und Römern diesem Zwecke diente4. Die Handlung haben wir uns
als eine symbolische vorzustellen, es kam nicht darauf an, daß man
sie besonders spürte, sondern nur darauf, daß man erinnert wurde,
aufmerksam zu sein, um später Zeugenschaft leisten zu können.
Wenn jemand in spöttischer oder ehrverletzender Weise als
Zeuge „gezogen“ worden wäre, so würde er sich wohl geweigert
haben, hinterher Zeugnis abzugeben. Etwas anders sah die Sache
aus, wenn Knaben „zugezogen“ wurden, da konnte schon fester
zu ge griffen werden, wenn auch anzunehmen ist, daß meistens die
die Schafe gehütet und damals von den alten den Grenzverlauf erfahren,
vgl. die nordischen arofar v. Schwerin, Gött. geh Anz., 1909, 793.
1 Fehrle, Feste und Volksbräuche, 82.
2 v. Amira, Grundriß3, 273; Brunner, Forschungen, 95.
3 Grimm, RA.4 I, 198ff. Herwegen, Germanische Rechtssymbolik in
der römischen Liturgie, 1913 (Deutschrechtl. Beiträge, hrsg. K. Beyerle VIII,
4), S. 319ff. Münz, Der Backenstreich in den deutschen Rechtsaltertümern
und im christlichen Kultus („Katholik“ 31. Bd.), 1869. Günther, Recht und
Sprache, 147. Gengler, Beitr. z. Rechtsg. Baierns I (1889), S. 15. Noorde-
wif.r, Nederd. Regtsoudheden, 1853, S. 36, 234. v. Savigny, G. d. röm. R.
im MA. 2 (1816), 87. Goldmann, Einführung der deutschen Herzogsgeschlech-
ter Kärntens, 1903 (v. Gierke, Untersuchungen, 68. Heft), S. 164ff. Punt-
schart, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, 1899, S. 138 ff. Stryck,
Disputatio de alapa, Frankf. 1675 (mir nicht zugänglich). Weyl, Über einige
gegenwärtige Spuren altgermanischen Rechtes (Festschrift für O. v. Gierke,
1911), S. 55ff. Falckenheiner, Hessische Städte II, 261. Vgl. das Bart-
zupfen oben S. 11 Anm. 11.
4 Vgl. Sittl, Gebärden der Griechen und Römer, 1890, S. 146f. Grimm,
RA.4 I, 201. Münz, a. a. O. 341 f. Puntschart, S. 140.
15
Ahnen bezeichnet, und daß nach dem Volksglauben die Seele des
Großvaters im Enkel fortlebt* 1, sodaß man auch gerne den Kindern
die Taufnamen der Großeltern gibt; dieser Volksglaube beruht
wohl auf der richtigen Beobachtung, daß häufig Eigenschaften
des Großvaters mit Überspringen einer Generation im Enkel auf-
leben. Der Wert der Greisenaussagen über kindliche Erinnerungen
ist um so größer, als im Alter die Jugenderinnerungen wieder beson-
ders lebhaft und farbenfrisch werden.
Es war ein Grundsatz des germanischen Rechts, daß der Zeuge § 17.
eines Rechtsgeschäftes von der Partei zum Sehen und Hören
aufgefordert wurde. Dieses Auffordern geschah durch Wort und
Werk2. Der Zeuge wurde gezogen. In den bayerischen Urkunden
ist von testes per aures tracti die Rede. Man denkt dabei an ein § 18.
Ohrenzupfen, Ohrenpfetzen oder Ziepen3, das auch bei Griechen
und Römern diesem Zwecke diente4. Die Handlung haben wir uns
als eine symbolische vorzustellen, es kam nicht darauf an, daß man
sie besonders spürte, sondern nur darauf, daß man erinnert wurde,
aufmerksam zu sein, um später Zeugenschaft leisten zu können.
Wenn jemand in spöttischer oder ehrverletzender Weise als
Zeuge „gezogen“ worden wäre, so würde er sich wohl geweigert
haben, hinterher Zeugnis abzugeben. Etwas anders sah die Sache
aus, wenn Knaben „zugezogen“ wurden, da konnte schon fester
zu ge griffen werden, wenn auch anzunehmen ist, daß meistens die
die Schafe gehütet und damals von den alten den Grenzverlauf erfahren,
vgl. die nordischen arofar v. Schwerin, Gött. geh Anz., 1909, 793.
1 Fehrle, Feste und Volksbräuche, 82.
2 v. Amira, Grundriß3, 273; Brunner, Forschungen, 95.
3 Grimm, RA.4 I, 198ff. Herwegen, Germanische Rechtssymbolik in
der römischen Liturgie, 1913 (Deutschrechtl. Beiträge, hrsg. K. Beyerle VIII,
4), S. 319ff. Münz, Der Backenstreich in den deutschen Rechtsaltertümern
und im christlichen Kultus („Katholik“ 31. Bd.), 1869. Günther, Recht und
Sprache, 147. Gengler, Beitr. z. Rechtsg. Baierns I (1889), S. 15. Noorde-
wif.r, Nederd. Regtsoudheden, 1853, S. 36, 234. v. Savigny, G. d. röm. R.
im MA. 2 (1816), 87. Goldmann, Einführung der deutschen Herzogsgeschlech-
ter Kärntens, 1903 (v. Gierke, Untersuchungen, 68. Heft), S. 164ff. Punt-
schart, Herzogseinsetzung und Huldigung in Kärnten, 1899, S. 138 ff. Stryck,
Disputatio de alapa, Frankf. 1675 (mir nicht zugänglich). Weyl, Über einige
gegenwärtige Spuren altgermanischen Rechtes (Festschrift für O. v. Gierke,
1911), S. 55ff. Falckenheiner, Hessische Städte II, 261. Vgl. das Bart-
zupfen oben S. 11 Anm. 11.
4 Vgl. Sittl, Gebärden der Griechen und Römer, 1890, S. 146f. Grimm,
RA.4 I, 201. Münz, a. a. O. 341 f. Puntschart, S. 140.