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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0017
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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allgemeinsten rechtlichen und kultischen Bräuchen. Auch wenn
der Vater dem Sohne die Grenze des eigenen Besitzes zeigt, macht
er von dem Rechtssymbol des Backenstreichs Gebrauch* 1, um das
Gedächtnis des Sohnes zu stärken2. Dieser muß sich ja die Grenze
nicht bloß deshalb merken, um etwa die Grenzverletzung des
Nachbarn gleich zu erkennen, sondern auch um sich selbst vor
Grenzüberschreitung bei der Feldarbeit zu bewahren. Denn schwere
Strafe im Diesseits und im Jenseits drohten ihm dafür. Eine
nüchterne Umdeutung des alten Brauches ist es, wenn die Grenz-
ohrfeige lediglich an die Knaben verabfolgt wird, die während der
,,Grenzbeziehung“ das nachbarliche Gebiet betreten, also die
'Grenzlinie überschreiten3.
Vereinzelt ist die Nachricht aus Schlesien, daß dort bei Ge-
legenheit der Grenzbegehung bei jedem Grenzhügel immer zwei
Leute von jeder Partei sich gegenseitig Backenstreiche gaben zur
besseren Erinnerung4. Das entspricht dem Hochzeitsbrauch, von
dem Münz erzählt5, nämlich daß sich die Trauungszeugen, Braut-
führer und Hochzeitsgäste nach derTrauungin derKirche gegenseitig
Ohrfeigen versetzen um besser an ihre Zeugenschaft zu denken.
Statt des Ohrenzupfens kommt auch das Haarrupfen der § 20.
Kinder vor, die als Zeugen einer feierlichen Handlung beiwohnen,
(ohne aber zu unserem Thema etwas beizusteuern) enthalten die isländischen
und schwedischen Rechtsquellen. Vgl. v. Amira, Nordgerm. Obligationen-
recht I, 755ff. (umfserp), II 688ff. (merkjaganga).
1 Im Fürstentum Birkenfeld und in Steiermark (nach Peter Rosegger).
Vgl. Hayme, Teutsch. juristisches Lexikon, 1738, S. 273. Auch in Kärnten
gibt der Vater dem Sohn nach dem Setzen des Steins eine „Watsche“. Carin-
thia 87, 123.
2 Als Stärkung des Gedächtnisses, als Erinnerung an eine Pflicht ist es
aufzufassen, wenn in der Heidarvigasaga die Mutter ihrem Sohne eine Ohrfeige
gibt, weil er sich auf seines Bruders Platz setzte, ohne ihn gerächt zu haben.
Vgl. Schreuer, Das Recht der Toten II (ZVglRW. 34), 159. Hierher gehört
auch, was vom Turnvater Jahn berichtet wird. Er habe unter dem Branden-
burger Tor in Berlin jeden Jungen gefragt, woran er denke. Und wenn dieser
nicht richtig geantwortet: „An die Siegeswagen, die der Franzmann von hier
nach Paris gebracht hat“ (1807), dann habe Jahn ihm eine Maulschelle ver-
setzt. — Davon, wie der volkstümliche Rechtsbrauch des Backenstreiches auf
germanischen Boden in den Firmungsritus übergegangen und welche weiteren
Schicksale und Deutungen er dort erlebte, ist hier nicht zu handeln. Vgl.
Heerwegen, Rechtssymbolik, 319ff.
3 Kück-Sohnrey, Feste und Spiele, 109.
4 Schoenaich, Schlesische Grenzaltertümer, ZSchles. 38 (1904), 374.
5 Münz, Der Backenstreich (oben S. 15 Anm. 3), S. 347.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1920. 7. Abh. 2
 
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