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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0022
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E. Frh. v. Künssberg:

Wenn beim Einschlagen von Pfählen gesungen wurde, so wird
zunächst an ein Arbeitslied zu denken sein, das den Takt bei der
Arbeit angab. Man ist versucht das anzunehmen, obwohl die eine
Nachricht, die wir haben, von einem Psalm spricht und als Zweck
des Gesanges nur das Gedächtnis der Jugend anführt. Bey ein-
schlagung des pfahls sollen hauptmann und Richter zum Gedächtnis
der Jugend einen Psalmen oder ein ander geistlich Lied singen
lassen .... auch wohl spielleuthe wie von alters gebrauchen'1. Auch
den Strafvollzug hatten die Kinder mit Gesang zu begleiten. Bei
§ 29. Hinrichtungen waren es Sterbelieder2, bei Prügelstrafen und anderen
Ehrenstrafen vermutlich Schmäh- und Spottlieder. Wie weit dabei
der Rhythmus des Liedes mit dem Prügeltakt übereinstimmte,
muß dahingestellt bleiben3. Die Prügel mußten ja aufgezählt
werden. Züchtigung unter Gesang der Kameraden finden wir im
Schulstrafrecht4, aber auch sonst. Das Recht des Gesindes St. Mi-
chaeli in Hildesheim5 enthält genaue Vorschriften. Wer die Arbeit
versäumt, wird in folgender Weise gestraft: de lutke voget . . .
theet se ene over enen blök unde de voget singet sinen medegesellen vor,
unde de gesellen singet one na. Unde under de tid sle.yt one de tiichte-
mester van dem vogede der to gesät vor de broke, so vaken ome gud
duncket. Item van dussen nagescr. stucken plecht me enen to vorrich-
tende, we nicht jegenwordich is, wenne me enen vorrichtet ane orloff,
item we de nicht ensinget, wen me enen tuchtiget. Es ist nun freilich
fraglich, ob Kinder mitbeteiligt waren. — Sterbelieder hatten
den Zweck, die religiöse Feierlichkeit zu erhöhen. Bei den Liedern
wirkten verschiedene Momente zusammen: die Strafverschärfung
durch den allgemeinen Spott, daneben die erzieherische, insbeson-

1 Wetterauisches Wassergericht, Grimm W. 3, 464, Anm.
- Renger, Hinrichtungen als Volksfeste. Süddeutsche Monatshefte 10
(1913), 2, S. 8ff.
3 Vgl. das von mir in Zeitschr. f. Rechtsg. 1920, germ. Abt., veröffent-
lichte Prügellied aus der Erbbergwerksordnung von Eisenerz 1670, sowie das
Britschenlied aus dem Züricher Weinspiel des H. R. Manuel 1548 (hrsg. Tu.
Odinger, 1892, Hallesche Neudrucke Nr. 101, 102, S. 123f.). Spießrutenlieder
bei Handelmann, Volks- und Kinderspiele in Schleswig-Holstein2, S. 43 f.
4 Boesch, Kinderleben in der deutschen Vergangenheit, S. 102. Schul-
kind nackt an einen Pfosten gebunden und während es mit Ruten gestrichen
wird, daß es blutet, müssen die andern Schüler ein Lied singen. Becker,
Chronika eines fahrenden Schülers (K. A. Schmid, G. d. Erziehung II, 2,
S. 115).
5 Grimm W. 3, 251.
 
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