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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0025
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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rothen riemen zum gedächtnüs geben lassen“. Anderwärts bekamen
sie Obst oder zwei harte Eier und einen Hellerweck1, so haftete
die Feierlichkeit auch im Gedächtnis des Gaumens.
Die Obstbäume, die an der Grenze standen, haben sich die
Kinder gewiß genau gemerkt2. Ein Göttebrödle für einen Heller
bekamen die 700 Buben, die bei der Grundsteinlegung eines Dammes
in Konstanz am 5. Jänner 1541 als Zeugen mitwirkten3.
Wein und Bier waren in manchen Gegenden so landesüblich § 34
als Wissbier und als Weinkauf, daß wir uns nicht wundern dürfen,
wenn auch Kinder davon bekamen. Im Jahre 1854 war Stobbe
bei einem Flurumzug in der Nähe Göttingens dabei, wo die Knaben
ihren Schluck Grenzbier erhielten4, ln Eipeltau am Marchfelde
in Niederösterreich sollte nach einem Weistum von 15125 bei der
Bestrafung einer Frau der richter des pesten weins ainen emer nemen
so mon in zu der zeit haben mag, und sol darein drew oder vier assach
legen und all jung knaben alz vil ir in dem aigen sein sollen den zu
ainer gedächtnüs austrinken, und sol den das pöss weib bezallen on
alle widerred pei dem grossen wandl“. Es ist zu vermuten, daß hier
mit den jungen Knaben nicht bloß die Kinder, sondern vielmehr
die halbgewachsene Jugend gemeint ist, der es ja vielfach obliegt,
Volksjustiz auszuüben, etwa im Sinne der Knabenschaften der
Schweiz.
Welche Bedeutung liegt darin, daß die Knaben Riemen oder § 35
Nestel geschenkt bekommen? Den kindlichen Zuschauern beim
Grenzbegang des Wetterauer Wassergerichtes werden rote Riemen
gegeben (nach einer anderen Nachricht ‘rote linnen’)6, und den
Knaben, die bei der feierlichen Aufrichtung eines Galgens in Lauch-
heim 1684 dabei sind, läßt der Komtur sechs Dutzend lederne
1 Höfler, Der Wecken, S. 18 (in: Philolog. u. volkskundliche Arbeiten
Yollmoeller zum 60. Geburtstag dargeboten). Ein Brot und einen Pfennig
1590 Flonheim (ArchHessG. 2, 3, 140).
2 Knaben wurden zu einem wilden Apfelbaum geführt. 1694 Grimm,
W. I, 602.
3 Hirsch, Konstanzer Häuserbuch I, 911.
4 ZRG. 13 (1878), 234, Anm. 66. Vgl. Vernaleken, Alpensagen, 394.
Daß auch die Erwachsenen nicht leer ausgingen lehrt eine Nachricht von
1776 aus Steiermark: der Bürgerschaft ist in rathauss ein halber startin wein
aussgeschenkt und ein ganzes kalb gebraten worden, welches sie auf offnen blaz
mit vill jubelgeschrei verzöhret haben. Und somit ist diese herrliche solennitet
beschlossen. Steir. Gerichtsbeschr. (Mell-Pirchegger), S. 253.
5 Österr.W VIII, 322. Vgl. v. Künssberg, Steintragen, 24f.
6 Siehe oben § 33.
 
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