Metadaten

Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0026
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
26

E. Frh. v. Künssberg:

blaue Nestel auswerfen1. Zedlers Universallexikon (1731) 9, 1375
verzeichnet den Brauch, hei der Grenzbesichtigung Nissein2, Bre-
zeln, auch kleine Münzen unter die Jugend auszuwerfen3.
§ 36. Die Geldspenden an die Kinder, die einer Rechtshandlung
wie z. B. dem Grenzumgang beiwohnten, konnten verschiedener
Art sein. Sie haben bald mehr den Charakter einer Gebühr4, bald
wieder mehr den eines Geschenkes; das einemal bekommt jeder
einzelne Knabe den gleichen Betrag, meist einen Pfennig, das andere-
mal werden die Münzen nach uralter Sitte, die in die römische
Kaiserzeit zurückreicht, ausgeworfen und jeder mag sehen wie viel
er erhascht, oder es findet ein Wettlauf nach dem Gelde statt5.
Meist waren es landläufige, gangbare Münzen (geringen Wertes,
selten von Silber), bisweilen aber eigens zu dem besonderen Anlaß
geprägte Denkmünzen, seien es nun Währungsmünzen oder auch
bloße Rechenpfennige6. Zur Freude der Kinder hat man wohl
auch dann, wenn keine besonderen Münzen geschlagen worden
waren, neue, möglichst blanke Pfennige, Heller oder Kreuzer ge-
nommen, deren Kupfer wie Gold glänzte. Ein Austeilen von Pfen-
1 Gerlach, Chronik von Lauchheim, 1907, S. 102.
2 Im DWB. ist unter „Nissel“ auf „Niesei“ verwiesen und unter „Niesei“
wieder zurück auf „Nissel“. Die Bedeutung Nestel ist aber zweifellos. —
Nesteln (Schnüre oder Riemen in der Regel zum Durchziehen durch ein
Kleidungsstück) finden wir als meist geringwertige Gabe in Rechts- und
Volksbrauch. So z. B. in schwäbischen Urkunden, Fischer, SchwäbWB. 4,
2000f. Vgl. SchweizJd. 4, 841. Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben 2,
186, 199, 282. Rote Nestel wurden vom Brautpaar den Gästen verehrt, um
sie auf den Hut zu stecken, das bringt dem Brautpaar Glück. Schmeller,
BayrWB2. I, 1767f. DWB. 7, 627. Nestel austanzen Böhme, Geschichte des
Tanzes in Deutschland 1 (1886), 202. Mit zwei Dutzend blauseidenen Nesteln
löst sich ein Junker, der von den Jungfrauen an seinem Geburtstag unver-
sehens am Stuhl oder Tischbein angebunden worden war. 16. Jhd. v. Gutten-
berg, ArchKulturg. 14 (1919), 73.
3 Eine Hand voll Stifte als Geschenk an die Buben erwähnt Reichhardt,
Deutsche Feste, 1908, S. 146. Beim Schul- und Volksfest des Wiesengangs in
Worms gibt es ,,vor die Knaben Ballen und Glücker, vor die Mägdger Nadel-
biichsger, Fingerhüth und Glaßschnür, auch 2 Ringelchen, den einen von Messing,
so ein Kugelring, den andern mit einem gläßernen Steinchen“ (vgl. S. 10).
4 Urkundsgeld wird gegeben, da eine öffentlichrechtliche Zeugnispflicht
nicht bestand, damit eine privatrechtliche Zeugnispflicht begründet wurde.
Schröder-Künssberg, RG.6, 92, Anm. 11, a. M. v. Amira, GGA., 1896,
205. Münzen als Urkundsgebühr Lindner, Veme, 614.
5 Siehe oben S. 11 Anm. 9.
6 Luschen v. Ebengreuth, Allg. Münzkunde und Geldgeschichte, 1904,
S. 26 ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften