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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0031
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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rührende Volkslied von Halewijn1 berichtet von einem solchen
herzlosen Menschen. Ein siebenjähriges Kind hat im Spiel ein
Kaninchen erschossen und soll nun deshalb geköpft werden2. Da
bringt der Himmel Rettung. Dem Scharfrichter entfällt das Bed:
dem Volksglauben entsprechend darf er nun nicht mehr seines
Amtes walten. Übrigens deutet das Volkslied an, wohin der Fehl-
schlag ging, er traf den unbarmherzigen Herrn, der die Hinrich-
tung angeordnet.
Die Schattenseite des Aberglaubens ist der kriminelle Aberglauben § 45
und auch dieser hat die Zauberkraft der Kinderunschuld anerkannt.
Die Wunderwirkung, die man den Kindern und Gegenständen, die
von ihnen kamen3, ja selbst einzelnen kindlichen Körperteilen4 zu-
traute, bildet auch eine Gefahr, denn der Wunsch nach dem Besitz
dieser zauberkräftigen Kinderunschuld ist zu allen Zeiten bei ein-
zelnen Menschen so stark geworden, daß sie vor Kindermißbrauch
und Kindertötung, ja selbst Tötung schwangerer Frauen nicht
zurückschreckten.
Uralt ist der Glaube, daß man Aussatz und andere Haut- § 46
krankheiten, die man als Strafe auf faßte, mit dem Blut eines
unschuldigen Kindes heilen könne5. Bis in die jüngste Zeit sind
manche Kinder dem Wahn zum Opfer gefallen, daß Kinderunschuld
imstande sei, von Geschlechtskrankheiten zu befreien6. Außerdem
braucht man die Wunderkraft des Kinderblutes zur Schatzgräberei7. § 47

1 Erk-Böhmf., Liederhort I, Nr. 64.
2 Über die Hinrichtung von Kindern vgl. auch Grimm, RA.4 II, 343
3 Z. B.: ein Hemd aus Garn, das ein siebenjähriges Kind gesponnen hat
ein sogen. Nothemd, schützt vor Militärdienst und auch vor Kugeln. Fehrle,
Kultische Keuschheit und Krieg, BayrHVk. 2 (1915), 260. Gegen Verurteilung
vor Gericht schützt das Nothemd auch (Ansbach, fünfjähriges Mädchen).
Globus 95 (1909), 23. Läuse eines unschuldigen Kindes sind ein Wunder-
mittel gegen Gelbsucht. Bohnenberger, Mitt. über volkstüml. Überliefe-
rungen in Württemberg I, 21.
4 Trägt man einen Knochen eines eigenen verstorbenen Kindes bei sich,
so kann man gefahrlos einen Meineid schwören. ITellwig, Arch. f. Religions-
wissenschaft 12 (1909), 56.
5 Hellwig, Verbrechen und Aberglauben, 66. Bolte-Polivka, An-
merkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I, 56.
Fehrle, Kultische Keuschheit, 61 f.
6 Gross, Handbuch für Untersuchungsrichter, 6. Aufl., 531. Ave-
Lallement, Gaunertum II, 22. ArchKriminalanthrop. 53, 144.
7 Gross, Handbuch f. Untersuchungsrichter6, 530. ArchKrim. 24, 125.
Vgl. oben S. 29.
 
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