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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0033
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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zur Tötung schwangerer Frauen. Das Volkslied von der verkauften
Müllerin* 1 wird auf einen tatsächlichen Fall vom Jahre 1596 zurück-
geführt, wo ein Wirt seine Frau an Mörder zu jenem verbrecherischen
Zwecke verkaufte. Von einem Fall aus dem Jahre 1630 sind die
Akten erhalten2. Die von der Leiche eines unschuldigen Kindes
abgeschnittenen Finger öffnen jedes Schloß an Türen, Kisten und
Kasten3. Doch kam auch Fälschung solcher Talismane vor4.
In diesem Zusammenhänge ist auch des Bauopfers zu gedenken5 § 50.
Dieser weit verbreitete, uralte Brauch wird aus der Anschauung
erklärt, daß in das Bauwerk noch eine Seele hineingehöre. Und so
wird in einen Neubau ein lebendes Wesen hineingebaut. Man glaubte
damit das Bauwerk gegen feindliche Mächte gesichert zu haben,
ein Haus vor allem Unheil, insbesondere aber eine Brücke6 vor dem
Einsturz, einen Damm vor Überflutung zu bewahren. Den besten
Schutzgeist gibt aber ein unschuldiges Kind; dessen Opferung ist
am wirkungsvollsten. Daher finden wir das Lebendigvermauern
von Kindern als Bauopfer7, sowie anderwärts Kinder zum Schutz

in welchem der Einbruch geschehen sollen, schlafen müssen; wenn hingegen ein
Fingerlein nicht gebrannt, so sei eine Person weiter in dem Haus gelegen, davon
sie nichts gewusst, und die hernach auch nicht geschlafen“.
1 Erk-Böhme I, 193ff. Böckel, Deutsche Volkslieder aus Ober-
hessen, 1885, p. 26 ff.
2 Kriminalakten des Hans Stockinger, Mörder und diebischen Male-
fikanten. Strnadt, Materialien zur Gesch. d. Gerichtsverfassung . . . des
Landes ob der Enns, 1909, S. 196, Anm. 1. Vgl. das Formular ebd. S. 150.
3 Berliner philol. Wochenschr., 1919, Sp. 160ff. ZRhWestfVk. 6
(1909), 65.
4 Vgl. Schamberg, De jure digitorum 1715, S. 62f., wo von fünf gefälsch-
ten Diebsdaumen berichtet wird, die aus Schweinsknöcheln bestanden.
5 Liebrecht, Zur Volkskunde, 284ff. Wuttke, Deutscher Volksaber-
glaube3, S. 300. Schreuer, Recht der Toten II, 97. 103 (ZVglRW. 34.Bd.).
Revue des traditions populaires 20, 470f. Revue celtique 26, 285. Branden-
burgia 10, Nr. 10. ZVk. 1906.
6 Eine Erinnerung an das einstige Brückenopfer zu dem aus der Gemeinde
oder aus den Kriegsgefangenen einer durchs Los bestimmt wurde, wird von
manchen Forschern in dem Kinderspiel „die goldene Brücke“ gefunden.
Singer, ZVk. 13 (1903), 172. Es gibt aber auch eine Reihe anderer Erklä-
rungsversuche; vgl. Rochholz, Alemannische Kinderlieder, 373ff. Böhme,
Kinderlied, 522ff. Liebrecht zur Volkskunde, 393f. Feilberg, Brobrille-
legen (Svenska Landsmal ock svenskt Folklif, 86ff.). Drost, NI. Kinderspel
28ff. ZVk. 26 (1916), 363. Gomme, Traditional games of England I, 333ff.
7 Döpler, Schauplatz der Leibesstrafen II, 404. Wuttke3 S. 300.
BIPommVk. 10 (1901). Zu der Sage von der Burg Liebenstein i. Thür, gibt

Sitzungsberichte der Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1920. 7. Abh.

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