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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0036
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E. Frh. v. Künssberg:

Laufe der Zeiten unterliegen. Die Kinder sind ohnehin schon
rasch mit Änderungen bei der Hand, ferner sind erfahrungsgemäß
uralte und mißverstandene Bräuche sehr Verstümmelungen aus-
gesetzt, ja gerade die Erklärungsversuche und Rekonstruktionen
können die eigentliche Form und Bedeutung eines Brauches zur
Unkenntlichkeit verunstalten.
53. Es ist ein altes Sprichwort „Wie die Alten sungen, so zwit-
schern auch die Jungen“. Jegliche Untersuchung der Kinder-
spiele wird sich daher die Grundfrage stellen müssen, inwieweit
gehört dies oder jenes Spiel zu den Nachahmungsspielen. Das
Kinderspiel ist ja nicht nur eine Einübung von Fertigkeiten, son-
dern auch eine Wiederholung der Tätigkeit der Vorväter und beson-
ders oft eine Nachahmung der Arbeit der Umgebung. Außer Be-
tracht dürfen dann von vornherein diejenigen Kinderspiele bleiben,
die nur ein Abklatsch von den Spielen Erwachsener sind, z. B.
Kartenspiel, wenn also ein Kind am Spiel Erwachsener teilnimmt
oder es selbständig treibt. Ferner wird man unterscheiden müssen
auf der einen Seite Spiele mit überkommenen1 feststehenden2 Spiel-
regeln, auf der andern Seite solche, die sich jeweils aus dem Spiel-
drang,aus der spielerischen Betätigung ergeben; die ersteren über-
liefern Kulturwerte einer vergangenen Epoche, letztere schöpfen
ihren Rechtsinhalt aus den jeweiligen Rechtsvorstellungen der
Spielenden, entsprechend ihrem Alter, ihrer Umgebung und ihrer
Zeit. Man wird bei der Untersuchung dieser Gruppe nicht über-
sehen dürfen, daß die Rechtsvorstellungen der Kinder vielfach aus
den Sagen und Märchen geschöpft sind. So wie sie zunächst ohne
Kritik diese für Wirklichkeit halten, so folgen auch ihre Anschau-
ungen rechtlichen Inhalts vielfach den Märchen. Schon daraus
wird sich bisweilen erklären lassen, weshalb die Kinder auch bei
frei erfundenen Spielen auf einer älteren Stufe der Rechtsentwicke-
lung stehen. Denn Märchen, Sagen und Volkslieder enthalten
manches alte Recht3: Die in Regeln festgelegten Spiele, seien sie
nun gesatzt oder nur Gewohnheit, die nur langsamen Veränderungen
durch die Zeit unterworfen sind, eignen sich natürlich in beson-
1 Dabei ist zu beachten, daß ein großer Teil unserer heutigen Spiele
auch schon im klassischen Altertum vorkommt.
2 Im Grunde genommen sind die Spielregeln auch von feststehenden
Spielen wechselnd, wie früher so heute, sodaß man sich oft erst bei Beginn
des Spieles über die Regeln einigen muß.
3 Da aber die Märchenstoffe usw. oft entlehnt sind, so sind auch die
Rechtsgedanken darin nicht durchwegs deutsch.
 
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