Rechtsbrauch und Kinderspiel.
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derem Maße für die Untersuchung, ob und was für Rechtsgedanken
in ihnen enthalten sind, ob durch sie etwa die Kinderstube Rechts-
altertümer überliefert.
Goethe hat erkannt : ,,Selbst wenn die Welt in ihrer Gesamt-
heit fortschreitet, muß die Jugend stets von vorne anfangen und als
Einzelmensch die Hauptbegebenheiten der Weltkultur wieder durch-
leben“. Da sich von unserem Kulturbesitz nichts physisch ver-
erbt, muß er von jedem Individuum aufs neue erworben werden
und dieser Erwerb geht zu einem sehr wesentlichen Teile spielend
vor sich1. Es ist nur ein Weiterdenken dieses Gedankens, wenn
man versucht hat Steinzeit, Bronzezeit usw. in der Entwickelung
der Kinder wiederzufinden, und wenn z. B. Hutchison unterschei-
den will: E Jagd-, Fang- und Kriegsspiele, 2. Hirtenspiele,
3. Ackerbau und Gartenspiele, 4. Handelsspiele, bei denen Tausch
und Sammeltätigkeiten ausgeübt werden2. Gleichgültig nun, wie
man sich zu dieser Entwicklungstheorie stellt, und ob man zu
diesen Arbeitsspielen noch mit Wundt die Kultspiele treten läßt,
die eine Nachahmung von religiösen Handlungen sind, jedenfalls
wird man die hervorragende Bedeutung des Nachahmungstriebes
im Spiele der Kinder zugeben müssen. Man könnte ebensogut
eine eigene Gruppe von Rechtsspielen bilden, in denen sich ehe-
malige Rechtsbräuche erhalten haben oder auch neuere Rechts-
bräuche nachgespielt werden. Es gibt bewußte und unbewußte
Rechtsspiele3.
Ohne den Nachahmungstrieb gäbe es kein Erlernen, keine
Überlieferung, keine soziale Vererbung, die von aller physischen
Vererbung unabhängige Überlieferung erworbener Gewohnheiten
von Generation zu Generation4. Es bedarf das keines besonderen
Beweises, daß wohl jede Tätigkeit der Erwachsenen, die von Kin-
dern beobachtet wird, von diesen auch im Spiel nachgeäfft und
eingeübt wird. Das Spiel ist ja so häufig eine Vorübung fürs
Leben. So haben zu allen Zeiten die Kinder dem Ernst des Lebens
mit ihrem Spiel ein frohes Spiegelbild entgegengehalten. Daher
das Kaufladenspielen, Schulspielen, das Zahnarztspielen usw. Wenn
Kinder das öffentliche Rechtsleben beobachten können, so werden
1 Groos, Spiele der Menschen, S. 515.
2 Claparede, Kinderpsychologie, übersetzt von F. Hoffmann, 1911,
S. 195.
3 Beispiele: Schläger und Dieb (unten §88), Asyl (unten §102).
4 Groos, Spiele der Menschen, S. 362ff.
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derem Maße für die Untersuchung, ob und was für Rechtsgedanken
in ihnen enthalten sind, ob durch sie etwa die Kinderstube Rechts-
altertümer überliefert.
Goethe hat erkannt : ,,Selbst wenn die Welt in ihrer Gesamt-
heit fortschreitet, muß die Jugend stets von vorne anfangen und als
Einzelmensch die Hauptbegebenheiten der Weltkultur wieder durch-
leben“. Da sich von unserem Kulturbesitz nichts physisch ver-
erbt, muß er von jedem Individuum aufs neue erworben werden
und dieser Erwerb geht zu einem sehr wesentlichen Teile spielend
vor sich1. Es ist nur ein Weiterdenken dieses Gedankens, wenn
man versucht hat Steinzeit, Bronzezeit usw. in der Entwickelung
der Kinder wiederzufinden, und wenn z. B. Hutchison unterschei-
den will: E Jagd-, Fang- und Kriegsspiele, 2. Hirtenspiele,
3. Ackerbau und Gartenspiele, 4. Handelsspiele, bei denen Tausch
und Sammeltätigkeiten ausgeübt werden2. Gleichgültig nun, wie
man sich zu dieser Entwicklungstheorie stellt, und ob man zu
diesen Arbeitsspielen noch mit Wundt die Kultspiele treten läßt,
die eine Nachahmung von religiösen Handlungen sind, jedenfalls
wird man die hervorragende Bedeutung des Nachahmungstriebes
im Spiele der Kinder zugeben müssen. Man könnte ebensogut
eine eigene Gruppe von Rechtsspielen bilden, in denen sich ehe-
malige Rechtsbräuche erhalten haben oder auch neuere Rechts-
bräuche nachgespielt werden. Es gibt bewußte und unbewußte
Rechtsspiele3.
Ohne den Nachahmungstrieb gäbe es kein Erlernen, keine
Überlieferung, keine soziale Vererbung, die von aller physischen
Vererbung unabhängige Überlieferung erworbener Gewohnheiten
von Generation zu Generation4. Es bedarf das keines besonderen
Beweises, daß wohl jede Tätigkeit der Erwachsenen, die von Kin-
dern beobachtet wird, von diesen auch im Spiel nachgeäfft und
eingeübt wird. Das Spiel ist ja so häufig eine Vorübung fürs
Leben. So haben zu allen Zeiten die Kinder dem Ernst des Lebens
mit ihrem Spiel ein frohes Spiegelbild entgegengehalten. Daher
das Kaufladenspielen, Schulspielen, das Zahnarztspielen usw. Wenn
Kinder das öffentliche Rechtsleben beobachten können, so werden
1 Groos, Spiele der Menschen, S. 515.
2 Claparede, Kinderpsychologie, übersetzt von F. Hoffmann, 1911,
S. 195.
3 Beispiele: Schläger und Dieb (unten §88), Asyl (unten §102).
4 Groos, Spiele der Menschen, S. 362ff.