Metadaten

Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0038
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
38

E. Frh. v. Künssberg:

sie auch dieses spielend wiederholen — man denke z. B. an das
Ammannspielen in der Schweiz1; den Einblick in die Schatten-
seiten des Lebens können wir wohl bei den Kindern vermuten,
die Pfandhaus oder Gerichtsvollzieher spielen. Dabei ist nicht zu
vergessen, daß die kindliche Nachahmungslust gefördert wird durch
die Erwachsenen, die der Jugend so gerne verkleinerte Nach-
bildungen ihrer eigenen Geräte als Spielzeuge geben. Von einem
54. „juristischen“ Kinderspielzeug aus der Zeit der französischen
Revolution erfahren wir aus einem Briefe der Frau Rat Goethe
an ihren Sohn vom 23. Dezember 1793. ,,Lieber Sohn! Alles was
ich dir zu gefallen thun kan, geschieht gerne und macht mir selbst
Freude — aber eine solche jnfame Mordmaschine zu kaufen — das
thue ich um keinen preiss —. Wäre ich Obrigkeit die Verfertiger
hätten an Halseissen gemusst — und die Maschine hätte ich durch
den Schinder offendtlich verbrennen lassen — was! Die Jugendt mit
so etwas abscheuliches Spielen zu lassen — jene Morde und Blut-
vergiessen als einen Zeitvertreib in die Hände geben — nein, da wird
nichts draus.“ Der Brief Goethes, der mit diesen kräftigen Worten
beantwortet wird, ist uns leider nicht erhalten; es wäre interessant
zu wissen, in welcher Weise sich der große Sohn an seine Mutter
gewendet, ihr eine kleine Guillotine — (auf dem Jahrmarkt?) —
zu besorgen.
55. Die bewußte zeitgetreue Nachahmung einer zeitgemäßen, noch
lebenden Erscheinung (um neueste Beispiele zu nennen: Lebens-
mittelmarkenspiel, „Spartakus und Regierung“-Spiel, Gefangenen-
bewachung usw.) ist natürlich nicht Gegenstand historischer Be-
trachtung; man wird nur daran zu erinnern haben, daß wohl jede
Zeit solche „aktuellen“ Spiele aufzuweisen hat. Im allgemeinen
nehmen die Kinder wenig Anteil an politischen Ereignissen2. Es
muß schon eine große, tiefbewegte Zeit sein, wenn die Erinnerung
an sie im kindlichen Gemüt, d. h. im Spiele weiterlebt. Die Feld-
züge Friedrichs des Großen regten das Soldatenspiel ebenso an,
wie später die Napoleonischen Kriege; das Jahr 1848 sah eine
Reihe politischer Größen im Spielzeug zu Hampelmännern herab-

1 Schweizerisches Idiotikon 4. 250.
2 Beispiele für große Kindergefechte (1489 in Brügge, 1566 in Gent, in
Amsterdam wegen des zehnten Pfennigs) bei Drost Nederlandsch Kinderspel,
S. 126ff. Zum Wahn aüsgeartete Nachahmungen waren die sogenannten
Kinderkreuzzüge.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften