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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0048
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E. Frh. v. Künssberg:

„Messerlesurren“, in der Schweiz1 „Mummelisurren“ heißt. Dabei
wird, solange der Atem hält, unter fortwährendem Summen, mit
einem Messer Rasen ausgestochen; die Rasenstücke scheinen,
wenigstens in der Schweiz, dabei Land zu bedeuten.
§71. Mannigfaltig sind die Kauf- und Verkaufsspiele der Kinder2.
Da werden Farben, Vögel, Töpfe, Schweinchen3 und anderes mehr
verkauft. Wenn dabei auch ,,Kinder verkaufen'44 gespielt wird,
so braucht das keinesfalls ein Reweis für einstiges tatsächliches
Kinderveräußern zu sein. Das Kinderspiel ,,Schweinchenverkau-
fen“ berührt sich eher mit einem abergläubischen Scheinkauf, der
aus Ostpreußen berichtet wird: wenn neu gekauftes Vieh schlecht
frißt, so muß man es ,,verhandeln“. Der Nachbar tut so, als ob
er es kaufen wollte, und handelt lange darum; es wird dabei sogar
etwas Geld gezahlt; dann frißt es sehr gut5. Ähnliche Sprüche
macht man im Kinderspiel.
§ 72. Die Pfänderspiele der Kinder und auch Erwachsenen haben,
wohl schon um ihres Namens willen, schon öfters die Aufmerksam-
keit von Juristen6 auf sich gelenkt. Es lebt in ihnen nicht nur ein
Rest germanischen Gerichtswesens fort, sondern auch ein Rest der
alten Wadiation, der symbolischen Selbstverbürgung. Die Spiel-
gemeinde ist ein Abbild der alten Gerichtsgemeinde. Der Leiter,
der die Pfänder zur Auslosung ausruft, ist Leiter des Gerichtes,
1 SchweizJd. 7, 1291.
In Lübeck ‘Proppentrecken’, ‘Kohschiet’ Schumann, Lübecker Spiel-
buch, S. 87, Nr. 172a.
2 Singer, ZVk. 13 (1903), 57 weist auf Beziehungen zum Dämonen-
kult hin.
3 Bei den Ennetbirgischen Wallisern gibt es den Volksglauben, daß die
Kinder in Ivrea auf Bäumen wachsen, dort auf dem Markt verhandelt werden
und daß sie der Schweinehändler gleichzeitig mit Ferkeln bringt. Volksk.
Unters. Hoffmann Krayer dargebracht, S. 39. — Auch im Odenwald, Bauland
und Taubergrund werden die kleinen Kinder „gekauft“, sei es von der Heb-
amme oder durch sie. Meyer, Bad. Volksl. 11 f., 168.
4 Bei Böhme, Kinderlied, Nr. 433, S. 590, ein Haschespiel „Nickelchen,
Nickelchen verkaufst Du Dein Kind nicht?“ und ein Platzwechselspiel aus
Schwaben „Frau Mutter, verkauft sie ihr Kindle nit?“ (ebd. Nr. 570, S. 650).
5 Wuttke, Deutscher Volksaberglaube3, S. 434.
6 Vgl. Grimm, RA.4 II, 359. Zöpfl, RG.4 III, 288. Stobbe, ZRG. 13,
220. Brunner, RG. I2, 209. v. Gierke, Schuld und Haftung 263 n. 11.
Lab and, Rechtsaltertümer in der Gegenwart, Deutsche Revue, 1904, S. 3f.
Mauczka, Altes Recht im Volksbewußtsein, Allg. österr. Gerichtszeitung,
1907, Nr. lOf. Bedenken gegen das Alter des Spieles hat Singer, ZVk. 13
(1903), 170f., der es auch in England nachweist.
 
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