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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0060
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60

E. Frh. v. Künssberg:

§101. Eine weitere Gruppe bilden die Fälle, in denen an bestimmten
Tagen, zu bestimmten Zeiten die Kinder, insbesondere die Schul-
jugend gewisse „Rechte“ haben, d. h. daß gewisse Bräuche an
diesem Tage öffentlich geduldet werden. Hier ist hinzuweisen auf
die zahlreichen Gelegenheiten zum Einsammeln von kleinen Gaben,
Geldgeschenken, Eiern, Festgebäck usw. Haben sich doch gerade
die Bräuche am zähesten gehalten, bei denen es irgend etwas zu
holen gab; von manchen schönen heidnischen oder Kirchenfesten
ist nur mehr der nackte Bettelbrauch übrig geblieben. Vom Um-
singen in festlicher Tracht ist mit dem Wegfall der Tracht und
dem Weglassen der entsprechenden Sammellieder zu dem einzelnen
Fest bisweilen nur mehr das Heischen übrig. Ist ja doch vielfach
auch der rituelle Anlaß1 des Brauches aus dem Gedächtnis des
Volkes entschwunden. Am unschuldigen Kindertag (28. Dezember),
an Fastnacht und Palmsonntag haben die Kinder nicht bloß das
Recht Abgaben zu erheben, sondern auch das Recht, diö Erwach-
senen mit Ruten zu schlagen2. Daß freilich dieses 'pfeffern’,
‘fitzein’3, 'schlägeln’4, 'frisch und gesund hauen’ usw. ein Fruchtbar-
keitszauber, die Rute eine Lebensrute ist, das ist den Beteiligten
meist unbekannt. Und so wird das Schlagen als eine Züchtigung
aufgefaßt, das Geldgeschenk als Loskaufsumme und nicht als
Belohnung, die sie eigentlich war.
Verschiedene Schulfeste, vorwiegend das Gregoriusfest, ge-
hören auch hierher. Auch an diesem Tage haben die Kinder
bestimmte „Rechte“5. Schließlich findet die Jugend außerdem da
und dort Gelegenheit zur Ausübung eines mehr oder weniger ein-
träglichen volkstümlichen Gewohnheitsrechtes; als Beispiel mag
der Aargauer Bachfischet dienen. Ende August wird der Stadt-
bach zwecks Reinigung abgeleitet und die Schuljugend darf die
zurückgebliebenen Fische fangen6.
1 Ygl. Jürgensen, Martinslieder, 1910. Fehrle, Kultische Keuschheit,
S. 64.
2 Vgl. Fehrle, Feste und Volksbräuche, 4ff. Lauffer, NdVk. 117ff.
124. Hoffmann Krayer, Feste und Bräuche, 113. Schwei zArchVk. 8, 39ff.
Reichhardt, Deutsche Feste, 52ff., 91.
3 Fehrle, Feste, 17f. Soldan-Heppe-Bauer, Hexenprozesse II, 183.
4 In Münchenthal, Galizien. Geschichte des Deutschtums in Galizien
(1914), S. 32.
5 Siehe oben S. 23. Vgl. ferner Hoffmann-Krayer, Feste, 119f.
(Berchtelis-Tag).
6 Hoffmann-Krayer, Feste, 63.
 
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