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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0058
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58

Gerhard Ritter:

inkomplexe und singuläre Perzeption des Sinnes ruft unmittelbar
eine entsprechende Wahrnehmung des Intellekts hervor1. Auch
hier stoßen wir auf einen oft erörterten aristotelischen Begriff:
das phantasma, die Einbildungsvorstellung, deren Dasein die Tätig-
keit- des Intellekts erst ermöglicht. Die metaphysische Natur
dieses Zwischengliedes, die Okkam soviel Schwierigkeiten gemacht
hatte2, wird hier nicht näher erörtert. Nur soviel zeigt sich, daß
es als „innere sinnliche Vorstellung“ (cognitio interior sensitivci) mit
der Körperlichkeit des erkennenden Subjekts zusammenhängt, den
ihm entsprechenden objektiven Inhalt im Sinne der terministi-
schen Logik „repräsentiert“ und offenbar berufen ist, die scharfe
Trennung der okkamistischen Psychologie zwischen Intellekt und
Sinnlichkeit zu überbrücken; überdies scheint es zur Aufbewahrung
der Sinneseindrücke für die Erinnerung zu dienen, da es auch im
Schlafe erhalten bleibt.
Analog den in dem phantasma niedergelegten einzelnen und
unbestimmten Sinneseindrücken bildet nun der Intellekt zunächst
ebenso unbestimmte Einzelbegriffe (conceptus singuläres lagt), und
zwar vermittels einer Intuition (intuitive), die auf eben jene sinn-
lichen Vorstellungsbilder (phantasmata) gerichtet ist3. Dabei besteht
eine Reihenfolge zunehmender Deutlichkeit des Begriffs je nach
dem Grade seiner Allgemeinheit, analog der Deutlichkeit der sinn-
lichen Wahrnehmung. Das hierfür zur Veranschaulichung gewählte
Beispiel gehört zu den seit Avicenna traditionellen Lehrstücken der
Scholastik. Wenn ich einen Menschen erblicke, der auf mich zu-

1 1. c. Bl. 10b: Aliqua est noticia intellectiva singularis et incomplexa. . .
patet de illa, quam dicta sensitiva immediate general in intellectu . . . quod Uli
proporcionabilem intellectus ab ea in se formal, quod sic intellectus rem
primo intelligit, sicut eam primo in fantasmatibus percipit. — Ibid.
Bl. 272 d: Eo modo, quo res primo sentitur, sic primo intelligitur; patet, quod
intellectus, quamdiu est in corpore, phantasmatibus intelligit, idest cognitionibus
sensitivis interioribus, ut dicetur III. de anima. Et patet in somno perfecto,
quando sensus non est in actu nec intellectus actu aliquid intelligit.
2 Prantl III, 336 ff.
3 abbrev. phys. 1. c. Bl. 3: Intellectus inspiciens fantasma incomplexum
sensus, genitum ex praesentiali obiectione sensibili, generat in se similem con-
ceptum incomplexum, mediante phantasmate illo, adaequate representante idem
quod fantasma. M. v. I. legt Wert darauf, daß auch die intellektive An-
schauung mit unbestimmten Einzelwahrnehmungen beginnt; anders die Dar-
stellung Siebecks 1. c. 332 von der Erkenntnislehre Okkams, der das con-
jusum des Intellekts in seinen Teilen stets distinkt sein läßt, im Unterschied
zur Sinnlichkeit.
 
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