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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0070
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Gerhard Ritter:

werden. Aber das hat mit den ,,terministischen“ Formen der
Erkenntnistheorie höchstens indirekt zu tun. Vielmehr hat. uns
eine überraschende Entdeckung Duhems gezeigt, daß gerade die
raffinierte Ausbildung logischer Unterscheidungen, wie sie die
Schule Okkams im 14. Jahrhundert betrieb, ihr eine in gewissem
Grad selbständige Nachprüfung des überlieferten aristotelischen
Weltbildes ermöglichte, die in einigen ihrer Ergebnisse als unmittel-
bare Vorarbeit der modernen Naturwissenschaft zu gelten hat.
Es kann also keine Rede davon sein, die naturwissenschaftlichen
Interessen der ,,Okkamisten“ geringer einzuschätzen als die irgend-
welcher anderer Scholastiker1; viel mehr noch: ihren mathematisch-
physikalischen Leistungen gegenüber verblaßt nicht nur aller
angebliche „Realismus“ der späteren via antiqua, sondern — es
ist kaum zuviel gesagt — ein recht erheblicher Teil des humani-
stischen Fortschrittsgeredes zu luftigem Dilettantismus.
Wir werden den allgemeineren historischen Zusammenhang
dieser Tatsachen noch eingehender zu betrachten haben. Zunächst
wenden wir uns den naturwissenschaftlichen Schriften unseres
Philosophen im einzelnen zu.
Den wichtigsten Bestand bilden die oft gedruckten Quästionen
de generatione et corruptione und zwei verschiedene Ausgaben des
Kommentars (Quästionen) zur aristotelischen Physik, auf die ich
sogleich zurückkomme. Daneben zeigt das Handschriftenverzeichnis
1 Die ansehnliche Stellung der Naturphilosophie im Rahmen der „mo-
dernen “Wissenschaft ergibt sich u. a. aus dem encyklopädischen Schema,
das Marsilius seinem „Abriß der Physik“ voranschickt. Er unterscheidet:
1. philosophia principalis, bestehend aus: a) phil. prima = Metaphysik, b)
phil. naturalis, c) phil. moralis. — 2. philosophia adminiculativa (Vorschule)
= 7 artes liberales. Dabei erscheint die Theologie als eine Unterabteilung
(scientia subalternata) der Metaphysik, die Jurisprudenz als Spezialfach der
Ethik, die Medizin als Sonderfach der Naturphilosophie, die Logik nur als
Vorschule! Doch soll „Unterabteilung“ nicht eine Herabdrückung im Range,
sondern nur eine zweckmäßige Arbeitsteilung bedeuten. (quanto specialior,
tanto perfectior). Immerhin zeigt sich, welche überragende Stelle die Philo-
sophie innerhalb der Spätscholastik beansprucht! — Druck nr. 13, Bl. 2a.
Die eben dort folgende systematische Einteilung der Naturwissenschaften, die
alle Schriften des Aristoteles u. Alberts d. Gr. zur Naturphilosophie in ein
kunstvolles encyklopäd. Schema bringt (8 Sonderdisziplinen), findet sich
noch ausführlicher in: de gener. et corr„ L. 1, qu. 1, Druck nr. 7, Bl. g 3. —
Die ältere Unterscheidung „sermozinaler und realer“ Wissenschaften enthält
der Sentenzenkommentar, 1. 1, qu. 2, Druck nr. 15, Bl. 10. Sehr bezeichnend
lur den Nominalismus sind die dort gebrauchten Termini: scientiae signorum —
scientiae rerum.
 
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