Studien zur Spätscholastik. I.
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imgedruckte Abhandlungen zu weiteren physikalischen Schriften
des Stagiriten: de sphera (verloren), de celo et mundo, de parvorum
naturalium libris und daraus insbesondere de sensu et sensato; diese
Manuskripte sind mir sämtlich unbekannt und würden zweifellos
noch manche Ausbeute ergeben. Für die vorliegende Untersuchung
benutzte ich die Schriften über „Werden und Vergehen“ in dem
Abdruck nr. 7 und das gedruckte physikalische Compendium (ab-
breviationes libri physicorum) in dem einzigen mir bekannten deut-
schen Exemplar der Jenaer Universitätsbibliothek (Druck nr. 13).
Außer dieser abgekürzten Ausgabe der Physik existiert nun noch
ein ausführlicher Kommentar in einem späten, von Duhem benutz-
ten und in Deutschland bisher nicht ermittelten französischen
Abdruck (nr. 11), mit dem es eine eigene Bewandtnis hat. Einmal
ist diese Fassung durch eine sonderbare Verwechslung in Aus-
gaben des 17. Jahrhunderts unter die Werke des Duns Skotus
geraten1; sodann zeigen die von Duhem daraus zitierten Stellen
häufig eine konfuse und von den sonst bekannten Lehrmeinungen
unseres Philosophen und seiner Schule abweichende Auffassung,
die mit dem Inhalt der abbreviationes und entsprechender Stellen
des Sentenzenkommentars nicht zu vereinigen ist2. Duhem sucht
diese Unterschiede mit der verschiedenen Entstehungszeit zu er-
klären: das ausführliche Werk sei in Paris entstanden, das abge-
kürzte für Heidelberger Lehrzwecke geschrieben; dem wider-
spricht schon die Tatsache, daß die abbreviationes unverkennbare
Hinweise auf Pariser Verhältnisse enthalten3; vor allem aber ist
nicht einzusehen, warum denn unser Magister in Paris stärker von
der Pariser Tradition abgewichen sein soll als später ? Sollte es
sich nicht vielmehr in dem Lyoner Druck (nr. 11) um eine verderbte
oder überarbeitete Ausgabe durch die eklektisch gerichteten Schulen
des 16. Jahrhunderts handeln? Erst eine Vergleichung des — mir
unzugänglichen — Druckes mit den Handschriften könnte hier
Klarheit schaffen.
Formal betrachtet stellen beide Schriften: de generatione et
corruptione und über die Physik den Typus des „modernen“ Kom-
1 s. Duhem II, 9, N. 1.
2 Vgl. Duhem II, 30: Bestimmung der Maximalwerte im Verhältnis
gegensätzl. Kräfte; ibid. II, 45/6: das unendlich Große, dazu lib. sent. I,
qu. 42. (Bl. 47); Duhem II, 343: Theorie der Schwere; ibid. III, 404: Messung
ungleichförmiger Geschwindigkeiten.
3 Druck nr. 13, Bl. 29, d: werden die Türme von Notredame, Bl. 62, a:
Paris und Avignon zur Veranschaulichung verwendet.
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imgedruckte Abhandlungen zu weiteren physikalischen Schriften
des Stagiriten: de sphera (verloren), de celo et mundo, de parvorum
naturalium libris und daraus insbesondere de sensu et sensato; diese
Manuskripte sind mir sämtlich unbekannt und würden zweifellos
noch manche Ausbeute ergeben. Für die vorliegende Untersuchung
benutzte ich die Schriften über „Werden und Vergehen“ in dem
Abdruck nr. 7 und das gedruckte physikalische Compendium (ab-
breviationes libri physicorum) in dem einzigen mir bekannten deut-
schen Exemplar der Jenaer Universitätsbibliothek (Druck nr. 13).
Außer dieser abgekürzten Ausgabe der Physik existiert nun noch
ein ausführlicher Kommentar in einem späten, von Duhem benutz-
ten und in Deutschland bisher nicht ermittelten französischen
Abdruck (nr. 11), mit dem es eine eigene Bewandtnis hat. Einmal
ist diese Fassung durch eine sonderbare Verwechslung in Aus-
gaben des 17. Jahrhunderts unter die Werke des Duns Skotus
geraten1; sodann zeigen die von Duhem daraus zitierten Stellen
häufig eine konfuse und von den sonst bekannten Lehrmeinungen
unseres Philosophen und seiner Schule abweichende Auffassung,
die mit dem Inhalt der abbreviationes und entsprechender Stellen
des Sentenzenkommentars nicht zu vereinigen ist2. Duhem sucht
diese Unterschiede mit der verschiedenen Entstehungszeit zu er-
klären: das ausführliche Werk sei in Paris entstanden, das abge-
kürzte für Heidelberger Lehrzwecke geschrieben; dem wider-
spricht schon die Tatsache, daß die abbreviationes unverkennbare
Hinweise auf Pariser Verhältnisse enthalten3; vor allem aber ist
nicht einzusehen, warum denn unser Magister in Paris stärker von
der Pariser Tradition abgewichen sein soll als später ? Sollte es
sich nicht vielmehr in dem Lyoner Druck (nr. 11) um eine verderbte
oder überarbeitete Ausgabe durch die eklektisch gerichteten Schulen
des 16. Jahrhunderts handeln? Erst eine Vergleichung des — mir
unzugänglichen — Druckes mit den Handschriften könnte hier
Klarheit schaffen.
Formal betrachtet stellen beide Schriften: de generatione et
corruptione und über die Physik den Typus des „modernen“ Kom-
1 s. Duhem II, 9, N. 1.
2 Vgl. Duhem II, 30: Bestimmung der Maximalwerte im Verhältnis
gegensätzl. Kräfte; ibid. II, 45/6: das unendlich Große, dazu lib. sent. I,
qu. 42. (Bl. 47); Duhem II, 343: Theorie der Schwere; ibid. III, 404: Messung
ungleichförmiger Geschwindigkeiten.
3 Druck nr. 13, Bl. 29, d: werden die Türme von Notredame, Bl. 62, a:
Paris und Avignon zur Veranschaulichung verwendet.