Studien zur Spätscholastik. I.
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während sie als ,,ewige“ ebensogut gegenwärtig genannt werden
darf. Non praevidentia, sed providentia dicitur1.
Das wird sehr wichtig für die Erklärung der Vorherbestim-
mung der freien Handlungen des Menschen. Wenn Gott alles
vorherbestimmt hat, wie kann dann die Freiheit bestehen? Wenn
er die prima causa aller Handlungen ist, wirkt er dann auch in den
Irrtümern des menschlichen Intellekts, in den bösen Entschlüssen
des Willens mit2? Die Kontingenz seines Handelns umschließt
unendlich viel mehr Möglichkeiten, als tatsächlich verwirklicht
werden. So bleibt Spielraum genug für den wahlfreien Entschluß
des Menschen. Wir kennen schon die Art, wie Gott in diesem mit-
wirkt. Einmal als prima causa alles Naturgeschehens. In dieser
Hinsicht ist er auch Mitursache der bösen Handlungen, jedoch nur
insofern, als auch in dem Bösen ein positiver Wesensgehalt (entitas)
steckt, dessen Zustandekommen nicht ohne die prima causa zu
denken ist; das Böse beruht dann auf einem Mangel, den Gott
zuläßt, nicht auf einer eigentlichen macula; letztere hat niemals
Gott zur Ursache3. Es gibt aber noch eine zweite Art der Mit-
wirkung Gottes am menschlichen Willensentschluß: den Weg der
besonderen Gnadenerweisungen. Dieser steht allein in Frage
wenn von der Erwählung zum ewigen Heil die Rede ist. Daß Gott
mit solcher Gnadenerweisung unsere Freiheit nicht einengt, leuchtet
ohne weiteres ein: diese Freiheit besteht ja nur in der Fähigkeit,
das Böse um des Guten willen zurückzuweisen, und eben diese
Fähigkeit besitzen wir nur dank der Mitwirkung der göttlichen
Gnade. Der göttliche Wille Gottes, weit entfernt, unsere Freiheit
zu zerstören, ermöglicht erst ihre Existenz.
Damit ist das eigentliche Problem der Prädestination freilich
nicht gelöst, sondern nur auf einen andern Boden gestellt. Wenn
denn alles von Gottes Gnade abhängt, warum läßt er sie nicht
allen zuteil werden? Warum bestimmt er die einen zum Heil, die
andern zum Verderben? Kann noch von Verantwortlichkeit des
Menschen die Rede sein, wenn er, ohnmächtig, dem Bösen aus
1 ibid. ßl. 168, d. 2 ibid. a. 2, pars 3, Bl. 168.
3 ibid. Bl. 168, c. Der oben erläuterte Unterschied des malum concre-
lu’urn und malum abstractivum (letzteres ist die macula) wird ausführlich be-
handelt in 1. I, qu. 46, a. 2, Bl. 191 ff. Die Mitwirkung Gottes am Bösen wird
offenbar im Interesse des monistischen Weltprinzips festgehalten. Doch wird
die radikalere Lösung R. Holkots abgewiesen und gewarnt, den Gegenstand
vor Laien zu erörtern. — Vgl. ferner oben S. 159, N. 3.
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während sie als ,,ewige“ ebensogut gegenwärtig genannt werden
darf. Non praevidentia, sed providentia dicitur1.
Das wird sehr wichtig für die Erklärung der Vorherbestim-
mung der freien Handlungen des Menschen. Wenn Gott alles
vorherbestimmt hat, wie kann dann die Freiheit bestehen? Wenn
er die prima causa aller Handlungen ist, wirkt er dann auch in den
Irrtümern des menschlichen Intellekts, in den bösen Entschlüssen
des Willens mit2? Die Kontingenz seines Handelns umschließt
unendlich viel mehr Möglichkeiten, als tatsächlich verwirklicht
werden. So bleibt Spielraum genug für den wahlfreien Entschluß
des Menschen. Wir kennen schon die Art, wie Gott in diesem mit-
wirkt. Einmal als prima causa alles Naturgeschehens. In dieser
Hinsicht ist er auch Mitursache der bösen Handlungen, jedoch nur
insofern, als auch in dem Bösen ein positiver Wesensgehalt (entitas)
steckt, dessen Zustandekommen nicht ohne die prima causa zu
denken ist; das Böse beruht dann auf einem Mangel, den Gott
zuläßt, nicht auf einer eigentlichen macula; letztere hat niemals
Gott zur Ursache3. Es gibt aber noch eine zweite Art der Mit-
wirkung Gottes am menschlichen Willensentschluß: den Weg der
besonderen Gnadenerweisungen. Dieser steht allein in Frage
wenn von der Erwählung zum ewigen Heil die Rede ist. Daß Gott
mit solcher Gnadenerweisung unsere Freiheit nicht einengt, leuchtet
ohne weiteres ein: diese Freiheit besteht ja nur in der Fähigkeit,
das Böse um des Guten willen zurückzuweisen, und eben diese
Fähigkeit besitzen wir nur dank der Mitwirkung der göttlichen
Gnade. Der göttliche Wille Gottes, weit entfernt, unsere Freiheit
zu zerstören, ermöglicht erst ihre Existenz.
Damit ist das eigentliche Problem der Prädestination freilich
nicht gelöst, sondern nur auf einen andern Boden gestellt. Wenn
denn alles von Gottes Gnade abhängt, warum läßt er sie nicht
allen zuteil werden? Warum bestimmt er die einen zum Heil, die
andern zum Verderben? Kann noch von Verantwortlichkeit des
Menschen die Rede sein, wenn er, ohnmächtig, dem Bösen aus
1 ibid. ßl. 168, d. 2 ibid. a. 2, pars 3, Bl. 168.
3 ibid. Bl. 168, c. Der oben erläuterte Unterschied des malum concre-
lu’urn und malum abstractivum (letzteres ist die macula) wird ausführlich be-
handelt in 1. I, qu. 46, a. 2, Bl. 191 ff. Die Mitwirkung Gottes am Bösen wird
offenbar im Interesse des monistischen Weltprinzips festgehalten. Doch wird
die radikalere Lösung R. Holkots abgewiesen und gewarnt, den Gegenstand
vor Laien zu erörtern. — Vgl. ferner oben S. 159, N. 3.