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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0005
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Gerhard Ritter: Studien zur Spätscholastik. II.

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tums dienen, wie der Nominalismus eines Okkam und seiner Ge-
nossen einst die gefährlichsten Waffen zur Zerstörung des weltum-
spannenden geistigen Systems hatte liefern müssen, auf dem die
Herrschaft der mittelalterlichen Papstkirche ruhte. Wortführer des
Okkamismus, wie Pierre d’Ailly und Johannes Gerson, hatten auf dem
Konstanzer Konzil die Hauptrolle gespielt ; seit dem Scheitern
ihrer kirchenpolitischen Pläne sollte (nach Zarncke) auch ihre theo-
logisch-philosophische Lehre durch eine Neuerweckung derHochscho-
lastik des 13. Jahrhunderts verdrängt worden sein. Das alles blieb
eine glänzende vorläufige Konstruktion, der die Quellenbeweise nicht
nachfolgten. Auf die spätere Literatur hat diese Anregung im
ganzen (soviel ich sehe) auffallend wenig gewirkt, vermutlich unter
dem Einfluß der Pr an tl sehen, wieder rein literaturgeschichtlichen
Untersuchungen. Um so stärker wirkte eine zweite Hypothese
Zarnckes. Die enge Verbindung zwischen den Baseler Schola-
stikern „realistischer“ Richtung (Joh. Heynlin vom Stein u. a.)
mit den dortigen Frühhumanisten (Brant, Geiler von Kaisersperg,
Agricola) brachte ihn auf den Gedanken, die humanistischen Be-
strebungen zur Erneuerung der antiken Autoren könnten mit den
rückwärts gerichteten Tendenzen der via antiqua eine innere Ver-
wandtschaft besessen haben. Indem er dann, von hier ausgehend,
in dem oberrheinischen Humanistenkreise der Brant, Wimpfeling,
Geiler u. a. eine ähnliche Stimmung rückwärts gewandter, „senti-
mentaler, zurückgehaltener Wehmut“, moralisierende Neigungen
zur inneren Erneuerung des Katholizismus wahrzunehmen glaubte,
wie in den Kreisen der via antiqua, gelangte er zu jener Unterschei-
dung eines älteren, kirchenfrommen von einem jüngern, radikal
reformlustigen Humanismus, die Jahrzehnte lang fast allen Dar-
stellungen des deutschen Humanismus zugrunde gelegt1 und erst
auffallend spät von der Forschung überwunden worden ist.
Gleichwohl hatten schon Prantls Forschungen zur Geschichte
der Logik2 * mit ihrer umfassenden Quellenkenntnis die Unterlagen
dieser Hypothesen als großenteils brüchig erwiesen. Auf seinen
Untersuchungen fußen alle Späteren, und zwar in einem Maße,
daß auch gegnerische Auffassungen genötigt waren, wesentlich mit
dem Material seiner Fußnoten zu arbeiten. Dabei war die Gefahr
einer gewissen Einseitigkeit in der Auffassung Prantls schon
1 Mit besonderem Eifer aufgenommen von Janssen Gesch. d. dtsch-
Volkes, I6, 55, II, 1 — 5, dem die ganze Theorie vorzüglich in seine antiluthe-
rische Tendenz paßte. 2 IV, 185, N. 61 (Leipzig 1870).
 
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