Studien zur Spätscholastik. II.
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auch, daß die fragliche Quelle zur Feststellung der sachlichen Lehr-
unterschiede zwischen beiden Wegen nicht verwendbar ist; in-
dessen besitzt sie erheblichen Wert als kultur- und sittengeschicht-
liches Dokument und als Zeugnis für lokale Leipziger — nicht
Heidelberger! — Universitätsverhältnisse1. Und wie in diesem
Falle, so sind auch in andern die Angriffe Benarys auf Prantls
angeblich zweifelhafte Quellen und Methoden selber höchst mangel-
haft fundiert2.
Benary versucht aber auch eine eigene positive Lösung, die
die er vorsichtigerweise als bloße „Arbeitshypothese“ bezeichnet.
Er konstruiert zunächst den historischen Sachverhalt so, daß es
Thomisten, Skotisten und Okkamisten sowohl auf seiten der via
moderna wie unter den antiqui gegeben habe. Dieses überraschende
Ergebnis gewinnt er einmal durch Umdeutung der Titel jener aus-
gedehnten logischen Literatur, die eine Mischform „skotistischer“
und „terministischer“ Elemente darstellt und die Prantl als
„synkretistisch“ bezeichnet hatte, sodann aber aus der Beobach-
tung, daß an „modernen“ Universitäten wie Erfurt in der Theo-
logie erkennbare thomistische Lehrformen und thomistiscli ge-
richtete Persönlichkeiten auftauchen, während umgekehrt an den
Universitäten des alten „Weges“, wie in Köln, „moderne“ Ein-
flüsse nicht ganz zu fehlen scheinen. Von dieser umstürzenden
Theorie aus wird eine Reihe von Quellenzeugnissen umgedeutet,
die schon Prantl für seine Auffassung herangezogen hatte. Wenn
demnach die Differenz der beiden „Wege“ mit den Gegensätzen
der großen philosophischen Schulen nichts zu tun hat und nicht
im Lehrstoff begründet liegt, bleibt nur übrig, ihr Wesen in
methodologischen Verschiedenheiten zu suchen. Das geschieht im
Anschluß an ein Prantlsches Zitat aus Johannes Gerson3 —
d. h. auf Grund eines Quellenzeugnisses, dessen ausgesprochene
Tendenz gerade die Versöhnung und Verwischung der bestehenden
Parteigegensätze ist. Benary deutet die kurze Stelle so, daß die
via antiqua den Weg „aphoristischer“ Forschungsmethode, die via
1 Vgl. darüber meinen, soeben in der „Zeitschrift f. Geschichte des
Oberrheins“ (1923, H. 1) erscheinenden Aufsatz: „Über Quellenwert und Ver-
fasserschaft des sogenannten Heidelberger Gesprächbüchleins für Studenten“.
2 S. unten Kapitel II, 2, Abschn. a.
3 Prantl IV, 144, N. 596, aus ,,de conceptibus“: Concipiens res naturales
. . potest duabus viis quasi contrariis incedere et ordinem scientiis dare; una
via est ex parle rerurn cognoscibilium a priori, altera est ex parle cognoscentium
a posteriori.
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auch, daß die fragliche Quelle zur Feststellung der sachlichen Lehr-
unterschiede zwischen beiden Wegen nicht verwendbar ist; in-
dessen besitzt sie erheblichen Wert als kultur- und sittengeschicht-
liches Dokument und als Zeugnis für lokale Leipziger — nicht
Heidelberger! — Universitätsverhältnisse1. Und wie in diesem
Falle, so sind auch in andern die Angriffe Benarys auf Prantls
angeblich zweifelhafte Quellen und Methoden selber höchst mangel-
haft fundiert2.
Benary versucht aber auch eine eigene positive Lösung, die
die er vorsichtigerweise als bloße „Arbeitshypothese“ bezeichnet.
Er konstruiert zunächst den historischen Sachverhalt so, daß es
Thomisten, Skotisten und Okkamisten sowohl auf seiten der via
moderna wie unter den antiqui gegeben habe. Dieses überraschende
Ergebnis gewinnt er einmal durch Umdeutung der Titel jener aus-
gedehnten logischen Literatur, die eine Mischform „skotistischer“
und „terministischer“ Elemente darstellt und die Prantl als
„synkretistisch“ bezeichnet hatte, sodann aber aus der Beobach-
tung, daß an „modernen“ Universitäten wie Erfurt in der Theo-
logie erkennbare thomistische Lehrformen und thomistiscli ge-
richtete Persönlichkeiten auftauchen, während umgekehrt an den
Universitäten des alten „Weges“, wie in Köln, „moderne“ Ein-
flüsse nicht ganz zu fehlen scheinen. Von dieser umstürzenden
Theorie aus wird eine Reihe von Quellenzeugnissen umgedeutet,
die schon Prantl für seine Auffassung herangezogen hatte. Wenn
demnach die Differenz der beiden „Wege“ mit den Gegensätzen
der großen philosophischen Schulen nichts zu tun hat und nicht
im Lehrstoff begründet liegt, bleibt nur übrig, ihr Wesen in
methodologischen Verschiedenheiten zu suchen. Das geschieht im
Anschluß an ein Prantlsches Zitat aus Johannes Gerson3 —
d. h. auf Grund eines Quellenzeugnisses, dessen ausgesprochene
Tendenz gerade die Versöhnung und Verwischung der bestehenden
Parteigegensätze ist. Benary deutet die kurze Stelle so, daß die
via antiqua den Weg „aphoristischer“ Forschungsmethode, die via
1 Vgl. darüber meinen, soeben in der „Zeitschrift f. Geschichte des
Oberrheins“ (1923, H. 1) erscheinenden Aufsatz: „Über Quellenwert und Ver-
fasserschaft des sogenannten Heidelberger Gesprächbüchleins für Studenten“.
2 S. unten Kapitel II, 2, Abschn. a.
3 Prantl IV, 144, N. 596, aus ,,de conceptibus“: Concipiens res naturales
. . potest duabus viis quasi contrariis incedere et ordinem scientiis dare; una
via est ex parle rerurn cognoscibilium a priori, altera est ex parle cognoscentium
a posteriori.