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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0016
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Gerhard Ritter:

moderna das „aposterioristische“ Verfahren bedeuten solle. Nun
haben die Ausdrücke a priori und a posteriori innerhalb der okka-
mistischen Logik ihre ganz bestimmte traditionelle Bedeutung1:
sie bezeichnen genau den Gegensatz der aristotelischen Analytik
zwischen deduzierbarem „Wissen“ und (durch die Sinne vermit-
telter) „Erfahrung“. Für Gerson erhält dieses Begriffspaar da-
durch seine besondere Wichtigkeit, daß es ihm darauf ankommt,
an allem Seienden die Doppelexistenz als „reales“ und als „subjek-
tives“ Sein (esse reale et esse obiectale) nachzuweisen — und entspre-
chend alles Wissen einerseits auf das Erfassen einer extramentalen
Realität (suppositio personalis), anderseits auf die rein intramenta-
len Vorgänge logischer Verknüpfung und Verarbeitung (suppositio
materialis) zurückzuführen; durch diese Parallelstellung „realer“
und „sermozinaler“ Wissenschaft hofft er eine Versöhnung der
erkenntnis-theoretischen Parteigegensätze herbeizuführen. Be-
nary dagegen, offenbar ohne nähere Kenntnis dieser Zusammen-
hänge, legt sich die in ihrer Kürze mehrdeutige Gersonstelle so
zurecht, daß er dem „aprioristischen“ Prinzip diejenige Methode
zuweist, die „von den Dingen ausgeht“. Dieser Weg, sagt B„ „stößt
auf sachliche Schwierigkeiten, die er aus den gegebenen Tatsachen
wiederum zu erklären sich bemühen muß. Er setzt dabei voraus,
daß die menschliche Erkenntnis den Dingen entspricht. Erkenntnis-
theoretisch ist dieser Weg daher recht anfechtbar.“ Eine nähere
Erklärung dieser dunkeln Andeutungen sieht man vergebens. Im
Gegensatz dazu soll die via moderna nichts anderes sein, als das
bekannte scholastische Beweisverfahren, das von gegebenen Auto-
ritäten ausgeht, deren Meinungen gegeneinander abwägt und aus
dieser Erörterung zum Schlüsse gelangt. Dabei scheint es Benary
unbekannt geblieben zu sein, daß er mit dieser angeblich „modernen“
Methode nichts anderes beschreibt, als das in der gesamten Schola-
stik, insbesondere seit Abälards Zeiten, übliche Darstellungs- und
Beweisverfahren. Er stellt zur Veranschaulichung zwei (inhaltlich
gleichgültige und einander durchaus nicht berührende) Teilstücke
scholastischer Erörterungen nebeneinander: eine quaestio des „mo-

1 Vgl. Albert von Sachsen, Prantl IV, 78, N. 302, Marsilius von Inghen
ibid. 98, N. 390 und oft im Sentenzenkommentar. Übrigens finde ich bereits
im prologus zum Sentenzenkommentar Okkams eine ausführliche Erörterung
der Frage, utrum omnis passio demonstrabilis sit de suo subieeto primo a priori,
oder ob das nur per experiantiam möglich sei. Danach ist der Sprachgebrauch
älter als von Prantl IV 78 angenommen.
 
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