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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0021
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Studien zur Spätscholastik. II.

21

Man sieht ganz deutlich: hier wird das Aufkommen einer neuen
Methode der Textauslegung im akademischen Unterricht bekämpft,
die sich nicht mit einer Besprechung des Sachinhalts der Vor-
lagen begnügt, sondern den Sprachausdruck logisch bearbeitet und
alle Hilfsmittel der terministischen Logik dazu benützt, um künst-
liche Schwierigkeiten der Auslegung zu schaffen und ebenso spitz-
findig zu lösen. Zum erstenmal kann man hier das spätere Schlag-
wort der „Realisten“ anklingen hören: Nos imus ad res, de terminis
non cnramus/“ Es richtet sich hier gegen einen übertreibenden
Mißbrauch der neuen logischen Hilfsmittel, die der „Terminis-
mus“ bot, ohne daß die Träger der bekämpften Methode nament-
lich sichtbar würden. Zu beachten ist insbesondere, daß weder
der Terminismus selbst noch seine übertreibende Anwendung aus-
drücklich mit dem Namen Okkams in Verbindung gebracht wird,
wenn auch die Fakultät am Schluß des Aktenstückes ein älteres all-
gemeines Verbot des Okkamismus erneuert. Daß nun gerade die
Anfänge der neuen logischen Methode nicht frei blieben von sophi-
stischen Entgleisungen, ist nicht sdrvver vorzustellen. Dagegen
würde ich nach meiner Kenntnis okkamistisch-,,moderner“ Schrif-
ten des 15. Jahrhunderts nicht wragen, die hier gegebene Beschrei-
bung der Methode „terministischer“ Kommentare auf die ganze
Schule Okkams ohne weiteres für anwendbar zu erklären. Bei
Marsilius von Inghen z. B. findet sich die gerügte Neigung zu
künstlicher „sermozinaler“ Mißdeutung des Autors keineswegs;
da aber diese methodische Neuerung ganz offenbar mit der Ein-
führung der terministischen Logik zusammenhängt, werden wir
darauf zu achten haben, wieweit sie etwra als Unterscheidungs-
merkmal in die späteren Entwicklungsstadien hineinreicht.
Wesentlich leichter ist die historische Fixierung eines weiteren —
erkenntnistheoretischen — Differenzpunktes zwischen Herkommen
und Reformern. Die Fakultät verbietet nämlich die Verkündung
der Lehre, alle Wissenschaft handle nur von den „Zeichen“, nicht
von den „Dingen“; in Wahrheit seien die „Zeichen“ nur als
Mittel zur wissenschaftlichen Erkenntnis der Dinge, nicht selbst
als Gegenstand der Erkenntnis zu betrachten1. Damit ist ganz
eindeutig die Lehre Okkams von dem rein intramentalen Charakter
1 Item, quod nullus dicat scientiam nullam esse de rebus, que non sunt
signa, id est que non sunt termini vel orationes, quoniam in scientiis utimur
terminis pro rebus, quas portare non possumus ad disputaciones. Ideo scientiam
habemus de rebus, licet mediantibus terminis vel orationibus.
 
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