Metadaten

Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0022
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
22

Gerhard Ritter:

des Erkennens bezeichnet, das Hauptstück der neuen Erkenntnis-
theorie1. Warum wird sie so lebhaft bekämpft ? Der nächste Satz
zeigt es deutlich: hinter der Lehre vom subjektiven Charakter
der Erkenntnis droht die Leugnung der realen Bedeutung der
metaphysischen Begriffe, wie sie eben damals Nikolaus von Autre-
court bis zu extremer Negation aller Metaphysik trieb. Es wird
vor einem leicht miß zuv er steh endin Lehrsatz gewarnt, der sich in
fast wörtlicher Wiederholung unter den ein paar Jahre später zu
Avignon verdammten und widerrufenen „Ketzereien“ des Niko-
laus von Autrecourt findet2. Damit aber wird uns das Interesse
der Pariser Aristoteliker an dem Verbote der gefährlichen okkami-
stischen Doktrin erst ganz deutlich: der in Avignon Verketzerte
hatte nichts anderes getan, als mit echt französischem Radikalis-
mus der logischen Konsequenz aus den empiristischen und sub-
jektivistischen Sätzen der Erkenntnislehre Okkams skeptische Fol-
gerungen gezogen, die das Fundament der ganzen aristotelischen
Metaphysik über den Haufen warfen. Indem er die Erkenntnis
als rein innerseelischen Vorgang von der Einwirkung des „Ob-
jektes“ völlig loslöste3 und als einziges Prinzip der logischen
Denkoperationen den Widerspruchssatz in logischer und metaphysi-
scher Formulierung gelten ließ, gelangte er zu einem ignoramus
gegenüber den fundamentalen Begriffen der Metaphysik: der Sub-
stanz, Kausalität, Finalität, der metaphysischen Priorität usw„ ja
zu einer skeptischen Haltung gegenüber aller Erkenntnis der Außen-
welt überhaupt4.
Hier haben wir also den Gegensatz der „Realisten“, denen es
um die Aufrechterhaltung der Grundlagen ihres metaphysischen
Systems zu tun ist, und eines höchst zweifelsüchtigen „Nominalis-
mus“ in schroffster Form. Die Verkündung des päpstlichen Ver-
dammungsurteils gegen den Magister Nikolaus erfolgte im Mai
1346; am 20. desselben Monats erging eine päpstliche Bulle an
die Universität Paris5, die ohne nähere Bezeichnung vor den un-
nützen und irrigen Doktrinen gewisser „auswärtiger“ Lehrer
warnte, insbesondere vor ihrer Verachtung und Vernachlässigung
der Texte des Aristoteles „und anderer Meister“ und der „alten“
1 Vgl. Studie I, p. 62. 2 Denifle, Chart. II, p. 507: quod deus et
creature nihil sunt; vgl. ibid. Nr. 1124, Lehrsatz 32. 3 Ibid. 580, Lehrsatz 48.
4 Vgl. Cl. Baeumker, Arch. f. Gesch. d. Philos. X, 252 — 4 und die bei Ueber-
weg-Bauhgartner10 609, 615ff. zitierte Literatur. 5 Chart. II, 1, p. 587
Nr. 1125.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften