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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0028
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28

Gerhard Ritter:

tive, und selbst die Allgemeinbegriffe (der eigentliche Gegenstand
der Wissenschaft), so wenig ihnen als solchen eine reale Existenz
außerhalb der Seele zukommt, sind doch sachlich in einer gewissen
aptitudo der Einzeldinge gegründet1.
Die Unentbehrlichkeit der Erkenntnislehre für den Meta-
physiker wird sogleich an einem Beispiel gezeigt. Sie bewahrt ihn
nämlich vor dem Irrtum, etwa anzunehmen, Gott erkenne die
Dinge materialiter, contingenter, mutabiliter, dependenter usw., darum
weil die Dinge ab extra materiell, dependentes, contingentes, mutabües
usw. sind. Die Einsicht in die grundsätzliche Wesensverschieden-
heit von Sein und Erkennen wird einen solchen Irrtum verhindern.
Aber es gilt auch, die Grenzen metaphysischen Denkens überhaupt
in erkenntnistheoretischer Einsicht zu begreifen. So muß der Meta-
physiker sich hüten, auf Grund seiner logischen Konstruktionen
ohne weiteres theologische Fragen entscheiden zu wollen: er würde
etwa in rein logischer Abstraktion zu dem Schlüsse kommen, daß
Gott als oberstes universale immutabilis et necessitate unicus sei,
während ihn doch die übernatürliche Einsicht, wie sie die Gnade
Gottes uns einflößt, von der dreifältigen Natur Gottes und seiner
freien Willkür überzeugen sollte. Ein anderes Beispiel: wer das
Sein als Vorstellung (esse obiectale) mit dem realen Sein (esse reale)
identifiziert, würde zu dem falschen Schlüsse kommen, daß die
geschaffenen Dinge darum, weil sie als Ideen von Ewigkeit her im
Geiste Gottes waren, auch realiter „ewig“ (also nicht in der Zeit
geschaffen) seien, was der Offenbarung widerspricht.
Also gegenseitige Ergänzung der „sermozinalen“ und „realen“
Disziplinen an Stelle des Kampfes wird hier gepredigt. Was die
Skotisten den „Terministen“ vorwerfen, kennen wir schon aus dem
Statut der Pariser Artistenfakultät von 1340 (s. o. p. 20): es ist die
Lehre Okkams, daß alle Wissenschaft nur von den „Zeichen“, nicht
von den „Dingen“ handle. Indem Gerson dieser Lehre zustimmt
und die Wichtigkeit der Unterscheidung zwischen dem Sein in der
Vorstellung und dem „realen Sein an sich“ für die Metaphysik
und Theologie betont, will er doch gleichzeitig daran festhalten,
daß dieZeichen nicht nur subjektive Gebilde sind, sondern zugleich
eine reale Bezogenheit auf die „äußere“ Welt besitzen, so daß auch
vom Boden der „terministischen“ Erkenntnislehre2 aus ein Aufbau
1 1. c. 824/5. Prantl N. 589 —90, 603.
2 Er selbst spricht von terministae und meint damit die okkamistische
Erkenntnistheorie und Logik; an sich ist der von Prantl aufgenommene Aus-
druck irreführend und besser zu vermeiden (vgl. Studie I, p. 52f., bes. 53 N.l).
 
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