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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0030
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30

Gerhard Ritter:

mus gerichteter Edikte erinnert den Leser sogleich an die Bekämp-
fung wiklifitisch-hussitischer Lehren auf dem Konstanzer Konzil.
Wir brauchen dem allen in unserem Zusammenhang nicht nach-
zugehen1; wichtig ist indessen die Feststellung der engen, von
Prantl merkwürdigerweise ganz übersehenen2 Verbindung, die
zwischen diesen Erörterungen und der Tendenz der ganzen Betrach-
tung besteht: wenn der herkömmliche Haupteinwand gegen den
Nominalismus okkamistischer Richtung darin bestand, daß man
ihm seine angebliche Feindschaft gegen die Metaphysik (und damit
gegen die ,natürliche Theologie“), seine Beschränkung auf rein
„begriffliche“ statt „sachliche“ Erörterung vorwarf, so suchte
Gerson umgekehrt nachzuweisen, daß gerade die Metaphysik der
skotistischen Realisten mit ihren „phantastischen“ Konstruktionen
der wahren Theologie gefährlich werde; in immer neuen Wen-
dungen sucht er die Notwendigkeit zu erweisen, metaphysische
Konstruktionen und Glaubenserkenntnis auseinanderzuhalten, die
Betrachtung der Glaubenswahrheiten freizuhalten von willkürlichen
Erfindungen des natürlichen Scharfsinns. Er ist kein Feind der
Metaphysik; aber sie soll sich auf logische und grammatische Ein-
sichten stützen und sich ihrer Grenzen bewußt bleiben3; letzten
Endes ist die theologische Einsicht doch aus andern Quellen gespeist.
Damit ist denn freilich klar, daß wir es hier mit einem Theo-
logen zu tun haben, der (aus wesentlich religiösen Motiven) an der
Erweiterung jenes Risses arbeitet, den zuerst Okkam in das kunst-
voll harmonische Gefüge der hochscholastischen Systeme gesprengt
hatte: an der beginnenden Spaltung zwischen Glauben und Wissen.
Aber zugleich ist es wichtig zu erkennen, daß diese Spaltung nicht
in der geraden Richtung fortschritt, wie man sich das gewöhnlich
vorstellt. Die Macht der Überlieferung, der fortdauernde Einfluß
der aristotelischen Metaphysik erweist sich auch hier als überaus
kräftig; in höchst seltsamer Verschrägung erscheinen die originalen
Motive der philosophischen Bewegung unter dem Druck dieser
Tradition. Die ganze Schwierigkeit des Problems, dem wir hier
nachgehen, ist in diesen Verschlingungen begründet.

1 Gute und ausführliche Wiedergabe bei Schwab 295ff.
2 IV, 148, erster Absatz. Prantl beachtet nur den Gegensatz „realer“
und „sermozinaler“ Wissenschaftstheorie und baut darauf seine These von
der grundlegenden Bedeutung des Lehrstoffes für den Unterschied der viae
auf; die Bedeutung der Universalienfrage leugnet er geradezu.
3 1. c. Spalte 828; häufige Berufung auf die „Pariser Artikel“ des
Stephan Tempier von 1273 (dazu vgl* Studie I, 77f.).
 
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