Studien zur Spätscholastik. II.
55
Magisters Jodokus über das natürliche sittliche Vermögen des
Menschen hinterläßt: er stellt sich darin als ein durchaus ernst zu
nehmender Thomist von solider scholastischer Bildung dar. Die
Quästion ist besonders interessant durch die nahe Beziehung, in
die hier die artistischen (logisch-metaphysischen) Erörterungen zur
Theologie gesetzt sind. Jodokus trug sie (wie die Handschrift ver-
muten läßt) im Jahre 1445 oder wenig später als magister artium
im Rahmen einer quodlibetarischen Disputation vor1 und hält sich
denn auch streng im Rahmen seiner artistischen Kompetenz; z. B.
wird die gratia gratis data in dieser ethischen Erörterung nicht
erwähnt. Aber seine Folgerungen streifen bereits hart an das theo-
logische Gebiet, und vor allem ist die ganze Fragestellung offensicht-
lich durch theologische Interessen veranlaßt.
Damit hätten wir eine in thomistischem Geiste gehaltene Schul-
disputation etwa sieben Jahre vor der offiziellen Einführung der
via antiqua in Heidelberg festgestellt, überdies zwei Dozenten, einen
Artisten und einen Theologen, die zu demselben Zeitpunkt einer neu-
thomistischen Richtung bereits zuneigten. Johannes Wenck könnte
durch seine Pariser Erziehung thomistisch beeinflußt sein — in jenen
Jahrzehnten fehlte ja, wie wir hörten, die okkamistische Schul-
richtung in Paris. Jodokus dagegen ist ganz als Heidelberger Zög-
ling aufgewachsen. Fand er hier bereits unter den Artisten Lehrer
vor, die ihm den thomistischen Geist einflößten? Noch ein dritter
Vertreter der „Realisten“ läßt sich vor der offiziellen Spaltung der
beiden Wege in Heidelberg nachweisen: der Kölner Artistenmagister
Simon de Amsterdam, später ein Parteiführer der via antiqua, 1448
immatrikuliert2. Mit unbedingter Ausschließlichkeit kann also be-
reits in den vierziger Jahren die via moderna nicht mehr geherrscht
haben. Bestand damals ein friedliches Nebeneinander beider Rich-
tungen, oder geschah das Eindringen der via antiqua von Anfang
an unter Kämpfen und Kritik an der Tradition des Schulbetriebes ?
Mit Sicherheit läßt es sich nicht sagen. An und für sich enthielten
ja die Statuten der Fakultät keinerlei Zwang zur Befolgung der
via Marsiliana; das Herkommen, nicht die Vorschrift regelte den
Studienbetrieb im einzelnen3, und es ließe sich wohl vorstellen,
daß gelegentliche Abweichungen von der Tradition ohne besondere
1 Cod. Pal. Lat. Yatik. 376, fol. 271 — 4. Das Stück steht am Ende
einer Reihe von quodlibetar. Questionen des Jahres 1445. 1444 war Jodokus
zum mag. art. promoviert. Vgl. Toepke II 387, III 877. 2 Toepke I, 257.
3 Das hat Benary 56f. richtig gesehen.
55
Magisters Jodokus über das natürliche sittliche Vermögen des
Menschen hinterläßt: er stellt sich darin als ein durchaus ernst zu
nehmender Thomist von solider scholastischer Bildung dar. Die
Quästion ist besonders interessant durch die nahe Beziehung, in
die hier die artistischen (logisch-metaphysischen) Erörterungen zur
Theologie gesetzt sind. Jodokus trug sie (wie die Handschrift ver-
muten läßt) im Jahre 1445 oder wenig später als magister artium
im Rahmen einer quodlibetarischen Disputation vor1 und hält sich
denn auch streng im Rahmen seiner artistischen Kompetenz; z. B.
wird die gratia gratis data in dieser ethischen Erörterung nicht
erwähnt. Aber seine Folgerungen streifen bereits hart an das theo-
logische Gebiet, und vor allem ist die ganze Fragestellung offensicht-
lich durch theologische Interessen veranlaßt.
Damit hätten wir eine in thomistischem Geiste gehaltene Schul-
disputation etwa sieben Jahre vor der offiziellen Einführung der
via antiqua in Heidelberg festgestellt, überdies zwei Dozenten, einen
Artisten und einen Theologen, die zu demselben Zeitpunkt einer neu-
thomistischen Richtung bereits zuneigten. Johannes Wenck könnte
durch seine Pariser Erziehung thomistisch beeinflußt sein — in jenen
Jahrzehnten fehlte ja, wie wir hörten, die okkamistische Schul-
richtung in Paris. Jodokus dagegen ist ganz als Heidelberger Zög-
ling aufgewachsen. Fand er hier bereits unter den Artisten Lehrer
vor, die ihm den thomistischen Geist einflößten? Noch ein dritter
Vertreter der „Realisten“ läßt sich vor der offiziellen Spaltung der
beiden Wege in Heidelberg nachweisen: der Kölner Artistenmagister
Simon de Amsterdam, später ein Parteiführer der via antiqua, 1448
immatrikuliert2. Mit unbedingter Ausschließlichkeit kann also be-
reits in den vierziger Jahren die via moderna nicht mehr geherrscht
haben. Bestand damals ein friedliches Nebeneinander beider Rich-
tungen, oder geschah das Eindringen der via antiqua von Anfang
an unter Kämpfen und Kritik an der Tradition des Schulbetriebes ?
Mit Sicherheit läßt es sich nicht sagen. An und für sich enthielten
ja die Statuten der Fakultät keinerlei Zwang zur Befolgung der
via Marsiliana; das Herkommen, nicht die Vorschrift regelte den
Studienbetrieb im einzelnen3, und es ließe sich wohl vorstellen,
daß gelegentliche Abweichungen von der Tradition ohne besondere
1 Cod. Pal. Lat. Yatik. 376, fol. 271 — 4. Das Stück steht am Ende
einer Reihe von quodlibetar. Questionen des Jahres 1445. 1444 war Jodokus
zum mag. art. promoviert. Vgl. Toepke II 387, III 877. 2 Toepke I, 257.
3 Das hat Benary 56f. richtig gesehen.