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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0058
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58

Gerhard Ritter:

berger Fakultät, nämlich nach der üblichen Methode der Modernen,
wie sie durch die Begründer der Fakultät, den Marsilius und die
andern Modernen eingeführt ist1.“ Das ist offensichtlich eine Er-
weiterung, zum mindesten eine schärfere Fassung jenes Status von
1444, das gleichfalls den Gebrauch der üblichen Kompendien (legere
secundum communes titulos magistrorurn) vorgeschrieben hatte. Die
spätere Fassung weckt noch stärker als die ältere die Vermutung,
daß die Anhänger der via antiqua eine Rückkehr von den Kompen-
dien zu den ursprünglichen Texten des Aristoteles gefordert hatten2;
der Hauptnachdruck liegt aber offenbar auf dem Inhaltlichen: auf
der Behauptung der maßgebenden Autorität des Marsilius und seiner
Schule im Gegensatz zum Thomismus und Albertismus. Man bot
jetzt alles auf, um das Eindringen dieser Lehren in den Unterricht
gewaltsam fernzuhalten, seit sich ihre Vertreter als so unbequeme
Opponenten erwiesen hatten. An der Stelle des ungeschriebenen
Herkommens sollte jetzt der Zwang die Lehrmeinung vorschreiben,
und im Gefühl, damit eine große Neuerung 'einzuführen, beruft sich
die Fakultät auf (angebliche) ähnliche Bestimmungen anderer Uni-
versitäten3. Abermals wird eine Kommission zur Beratung positiver
Abwehrmaßnahmen gegen die via realistarum (dieser Name ist sehr
zu beachten!) niedergesetzt. Ihr gehören die namhaftesten Mit-
glieder der Fakultät an, mehrere von ihnen graduierte Theologen,
darunter Rudolf von Rüdesheym, damals schon Lizentiat der Theo-
logie, von dem uns sechs rhetorisch gewandte, aber theologisch
völlig farblose Vorlesungen zu den vier Büchern der Sentenzen des
Lombarden erhalten sind — Musterbeispiele einer rein formalen,
inhaltsleeren Rhetorik, die sich in gedankenlosem Ausmalen von
Bildern und Vergleichen erschöpft und in ihren schulmäßig-künst-
lichen Fragestellungen gelegentlich ans Komische streift4. Dürfte

1 a. f. a. II, 19b, auch UB II, 364; Quod modum legendi cum questionibus
et dubiis secundum communes titulos magistrorurn et cum commendo observent,
sicut in principio studii in nostra facultate legi est consuetum, in via videlicet
communi modernorum per primevos nostre facultatis patres Marsilium et alios
modernos introducta.
2 Benary 52ff. baut auf diese Stelle seine ganze (oben p. 15 ff. bespro-
chene) Hypothese auf, nach der die beiden viae nichts anderes als 2 verschie-
dene Methoden des Demonstrationsverfahrens darstellen sollen. Vgl. darüber
ausführlich unten cap. II, 3, a.
3 Id quod et aliarum universitatum magistris iniungitur.
4 Cod. Pal. Lat. Yat. 370, fol. 97 — 123. Vgl. f. 121b die ernsthaft er-
örterte quaestio: Quonam modo magister [Petrus Lombardus] regem regum
 
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