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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0076
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76

Gerhard Ritter:

das nicht die Lehre der größten Philosophen ?x Ist nicht die gegen-
teilige Meinung in Konstanz verdammt worden, wie Johannes
Gerson bezeugt ? Aber freilich, man meint diese Lehre mit dem
Schlagwort „Nominalismus“ einfach abtun zu können; man be-
hauptet, sie beschäftige sich ausschließlich mit Lauten und Be-
griffen, nicht mit den Dingen selber. Als ob wir so stupide wären,
nur an die Buchstaben, Silben und bloßen Worte zu denken, wenn
wir etwa in der Physik vom corpus mobile oder in der Psychologie
von der Seele reden!1 2 Was sollte uns eigentlich daran gelegen sein,
bloß um der Worte willen so große Bücher zu schreiben ? Habe ich
(Marsilius) etwa als Theologe das griechische Wort „Christus“ an-
gerufen oder nicht vielmehr den Herrn selber? Verachten die
Gegner etwa meine Schule darum, weil wir in der Logik einige
Verbesserungen aufgebracht haben (in logicis politiora quaedam et
magis exquisita usurpavimus) ? Auch wir treiben unsere Studien
über Gott, Weltschöpfung, Psychologie, Ethik usw. so gut wie die
andern! Ist es verboten, seine eigene Meinung zu haben über die
proprietates terminorum — überdies eine, die schon bei Aristoteles
zu finden ist, von dem wir überhaupt in keinem Punkte abweichen,
wo uns nicht die Lehre der Kirche dazu zwingt ? Auch Aristoteles
hat in seiner Syllogistik gelegentlich bloße Buchstaben (A, B, C)
zur Bezeichnung der Figuren gebraucht; und im Bereich der logi-
schen Wissenschaften (quae sermocinales sunt), sind doch unzweifel-
haft sermones ac sermonum partes die Hauptsache, die durch den
Sprachausdruck bezeichneten Dinge aber (sermonum significata)
nur beiläufig und indirekt (obiter et accessorie) Gegenstand der Be-
trachtung. Umgekehrt natürlich liegt das Verhältnis in den Sach-
wissenschaften. Warum also der Vorwurf leerer Wortklauberei?
Es ist empörend, daß man glaubt, uns mit Spott als bloße „Ter-
ministen“ oder „Nominalisten“ bezeichnen zu dürfen3, als ob wir
1 An nos et opera nostra forsitan abicitis, quod universalia quedam realia
non asseveramus? Quae quod explodenda sint . . . maxirni philosophi nobis asti-
pulantur. — ,,Ad illustrissimum Bavarie ducem Philippum . . . epistola“. Mainz
1499. (= Panzer-Copinger II, 1, Nr. 10781), fol. 4aff.
2 Num putatis me et nostros sequaces dumtaxat de vocibus et terminis agere
nec, cum verbis inter disserendum utimur, meminisse rerum, quarum signa sunt,
quas loquendo coram exhibere non possumus? Nos ne tarn stolidos et insensatos
opinamini, ut quotiens physicale ens vel corpus mobile librorumque de anima
subiectum, ipsam animam, profitemur, de his solum litteris et syllabis deque nudis
absque ratione rerum vocabulis iterum atque iterum sermones nostros conterere
studeamus — usf.
3 Indigne nos (cum ludibrio sattem) terministas aut nominales appellatis.
 
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