Studien zur Spätscholastik. II.
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uns nur mit der sermozinalen Oberfläche der Dinge befaßten, ohne
in ihren Sachgehalt einzudringen. In Wahrheit bauen beide Schu-
len {viae) auf demselben Fundamente: Priscian in der Grammatik,
Aristoteles, Boethius, Themistius, Porphyrius in der Logik, und in
der Theologie besteht auch kein grundsätzlicher Unterschied in der
Benutzung von Autoritäten1. Man könnte uns gerade so gut anti-
qui nennen, fügt der theologische Bakkalar Jakob Merstetter hinzu,
so alt sind die aristotelischen Grundlagen unserer Lehre.
Diese Ausführungen bedürfen keines Kommentars. Wir kennen
alle diese Erörterungen zur Genüge aus den Kontroversen der fran-
zösischen Scholastik. Auf Johannes Gerson berufen sich denn auch
unsere Heidelberger Modernen immer wieder; nur ist es sehr be-
merkenswert und begreiflich, daß sie seine Polemik gegen die skoti-
stischen „Formalitäten“ nicht berühren. Statt dessen drucken sie
aus der uns bekannten Schrift De concordia metaphysice cum logica
den Passus ab, der sich auf das Universalienproblem bezieht und
gegen den extremen Realismus gerichtet ist2. Je deutlicher auch
hierdurch wieder bezeugt wird, daß tatsächlich der Nominalismue
und die schon mehrfach erörterte erkenntnistheoretische Grund-
auffassung des Okkamismus überhaupt das charakteristische Merk-
mal der modernen Schule bildeten, um so mehr muß ihre lebhafte
Verwahrung gegen den „Spottnamen“ der Terministen und Nomi-
nalisten auffallen3. In der Tat erscheinen diese Ausdrücke zwar
häufig in der Literatur, aber m. W. nirgends in den Heidelberger
Universitätsakten als offizielle Bezeichnung, während dort der Aus-
druck realista geläufig ist4. Man wird daraus nicht (mit Prantl) ent-
1 Über diesen letzteren Punkt vgl. den späteren Abschnitt: „Die via
antiqua und die Reform der Theologie“.
2 Fol. 18bff. — Als „moderne“ Autoritäten erscheinen im übrigen:
Okkam, Buridan, Gregor v. Rimini, Adam (Goddam?), H. Oyta, H. de Has-
sia, Matth, von Krakau, Nikol. Oresme, R. Holkot, Albert v. Sachsen, Peter
d’Ailly, Joh. Gerson, Nik. Cusanus(!), Stephan Proliverius (wohl Brulifer, der
Skotist!), Gabriel Biel.
3 Besonders heftig polemisiert der Autor gegen einen Dictionarius predi-
cantium, der boshafterweise die moderni als Epikureer bezeichne, quoniam
superficiales sint in artibus liberalibus. Gemeint ist der Artikel ,,epicureus“
des vielgedruckten Heidelberger vocabularius predicantium von Joh. Melber
(Hain 11022-—-11044), der aus Predigten Jodocus Aichmanns zusammenge-
stellt ist. Man mag daraus den Ton der Aichmannschen Polemik entnehmen!
4 In Freiburg dagegen wurde die Bezeichnung nominales offiziell ge-
braucht; vgl. Schreiber I, 62 und acta fac. art. I, fol. 133b z. J. 1497: in
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uns nur mit der sermozinalen Oberfläche der Dinge befaßten, ohne
in ihren Sachgehalt einzudringen. In Wahrheit bauen beide Schu-
len {viae) auf demselben Fundamente: Priscian in der Grammatik,
Aristoteles, Boethius, Themistius, Porphyrius in der Logik, und in
der Theologie besteht auch kein grundsätzlicher Unterschied in der
Benutzung von Autoritäten1. Man könnte uns gerade so gut anti-
qui nennen, fügt der theologische Bakkalar Jakob Merstetter hinzu,
so alt sind die aristotelischen Grundlagen unserer Lehre.
Diese Ausführungen bedürfen keines Kommentars. Wir kennen
alle diese Erörterungen zur Genüge aus den Kontroversen der fran-
zösischen Scholastik. Auf Johannes Gerson berufen sich denn auch
unsere Heidelberger Modernen immer wieder; nur ist es sehr be-
merkenswert und begreiflich, daß sie seine Polemik gegen die skoti-
stischen „Formalitäten“ nicht berühren. Statt dessen drucken sie
aus der uns bekannten Schrift De concordia metaphysice cum logica
den Passus ab, der sich auf das Universalienproblem bezieht und
gegen den extremen Realismus gerichtet ist2. Je deutlicher auch
hierdurch wieder bezeugt wird, daß tatsächlich der Nominalismue
und die schon mehrfach erörterte erkenntnistheoretische Grund-
auffassung des Okkamismus überhaupt das charakteristische Merk-
mal der modernen Schule bildeten, um so mehr muß ihre lebhafte
Verwahrung gegen den „Spottnamen“ der Terministen und Nomi-
nalisten auffallen3. In der Tat erscheinen diese Ausdrücke zwar
häufig in der Literatur, aber m. W. nirgends in den Heidelberger
Universitätsakten als offizielle Bezeichnung, während dort der Aus-
druck realista geläufig ist4. Man wird daraus nicht (mit Prantl) ent-
1 Über diesen letzteren Punkt vgl. den späteren Abschnitt: „Die via
antiqua und die Reform der Theologie“.
2 Fol. 18bff. — Als „moderne“ Autoritäten erscheinen im übrigen:
Okkam, Buridan, Gregor v. Rimini, Adam (Goddam?), H. Oyta, H. de Has-
sia, Matth, von Krakau, Nikol. Oresme, R. Holkot, Albert v. Sachsen, Peter
d’Ailly, Joh. Gerson, Nik. Cusanus(!), Stephan Proliverius (wohl Brulifer, der
Skotist!), Gabriel Biel.
3 Besonders heftig polemisiert der Autor gegen einen Dictionarius predi-
cantium, der boshafterweise die moderni als Epikureer bezeichne, quoniam
superficiales sint in artibus liberalibus. Gemeint ist der Artikel ,,epicureus“
des vielgedruckten Heidelberger vocabularius predicantium von Joh. Melber
(Hain 11022-—-11044), der aus Predigten Jodocus Aichmanns zusammenge-
stellt ist. Man mag daraus den Ton der Aichmannschen Polemik entnehmen!
4 In Freiburg dagegen wurde die Bezeichnung nominales offiziell ge-
braucht; vgl. Schreiber I, 62 und acta fac. art. I, fol. 133b z. J. 1497: in