Gerhard Ritter:
nehmen dürfen, daß die Universalienfrage von untergeordneter Be-
deutung für die Unterscheidung der beiden Wege gewesen sei, wohl
aber, daß die „Nominalisten“ sich ihrer sachlichen Mitarbeit an
den Aufgaben der Metaphysik und der „Realwissenschaften“ über-
haupt sehr deutlich bewußt waren. Wie guten Grund sie tatsäch-
lich hatten, auf eine scharfe Unterscheidung ihrer rein erkenntnis-
kritisch gemeinten Lehre von dem älteren, ontologisch bestimmten
Nominalismus eines Roscellin zu dringen, haben wir oft genug
hervorgehoben* 1.
Doch es wird nützlich sein, unsere Auffassung der Sachlage
noch durch einen vergleichenden Umblick in der damaligen Lite-
ratur außerhalb Heidelbergs nachzuprüfen. Besonders wichtig ist
für unsere Frage die Abhandlung des Kölner Albertisten Hemeri-
cus de Campo über die Differenzpunkte zwischen der Lehre des
Thomas und Alberts des Großen, die zugleich den Streit zwischen
altem und neuem Wege bespricht und zugunsten der antiqui ent-
scheidet2. Gleich der erste Satz bestätigt unsere bisherigen Er-
gebnisse: die Lehre der Modernen, heißt es, weicht vom ersten Ari-
stoteles hauptsächlich (presertim) in der Universalienfrage ab, die
den Angelpunkt und die Grundlage aller Kunst und Wissenschaft
bildet. Insbesondere geht der Streit um folgende Einzelprobleme:
ob die Universalien außerhalb der Seele, ob sie getrennt von den
Einzeldingen oder auch in diesen existieren, ob sie als Materie, als
Form oder als ein Zusammengesetztes von beiden bestehen, ob sie
körperlicher Natur sind und ob sie durch die fünf Prädikabilien des
Porphyrius erschöpfend dargestellt werden. In der Tat dreht sich
dann die weitere Erörterung ausschließlich um diese Fragen, und
sehr bald wird deutlich, daß die uns wohlbekannte Besorgnis, die
„moderne“ Erkenntnistheorie möchte die metaphysische Bedeu-
tung der auf die Universalbegriffe angewiesenen wissenschaftlichen
via nominalium. Als „Schimpfname“' kann die Bezeichnung nominales also
nicht durchweg empfunden worden sein. Die moderni vermieden sie aus den
im Text angedeuteten Gründen zumeist, scheuten sich aber auch nicht, ihren
Nominalismus bei Gelegenheit offen zu bekennen. Vgl. die Zitate bei Mest-
werdt, a. a. O. 116, N. 3 und die zahlreichen Titel von gedruckten Schul-
büchern der Modernen, die sich als nominalistisch selber ankündigen (bei
Prantl).
1 Vgl. dazu die zutreffenden Bemerkungen Hermelinks, Theol. Fak. 100,
A. 5, im Anschluß an Prantl III, 344, A. 780.
2 Problemata inter albertum magnumetsanctumtho)nam.,gedr. Köln 1490.
Münchener St.-Bibi.) Bei Prantl IV 182ff. besprochen (nach d. Ausgabe
1496); ibid. Abdruck des Anfangs.
nehmen dürfen, daß die Universalienfrage von untergeordneter Be-
deutung für die Unterscheidung der beiden Wege gewesen sei, wohl
aber, daß die „Nominalisten“ sich ihrer sachlichen Mitarbeit an
den Aufgaben der Metaphysik und der „Realwissenschaften“ über-
haupt sehr deutlich bewußt waren. Wie guten Grund sie tatsäch-
lich hatten, auf eine scharfe Unterscheidung ihrer rein erkenntnis-
kritisch gemeinten Lehre von dem älteren, ontologisch bestimmten
Nominalismus eines Roscellin zu dringen, haben wir oft genug
hervorgehoben* 1.
Doch es wird nützlich sein, unsere Auffassung der Sachlage
noch durch einen vergleichenden Umblick in der damaligen Lite-
ratur außerhalb Heidelbergs nachzuprüfen. Besonders wichtig ist
für unsere Frage die Abhandlung des Kölner Albertisten Hemeri-
cus de Campo über die Differenzpunkte zwischen der Lehre des
Thomas und Alberts des Großen, die zugleich den Streit zwischen
altem und neuem Wege bespricht und zugunsten der antiqui ent-
scheidet2. Gleich der erste Satz bestätigt unsere bisherigen Er-
gebnisse: die Lehre der Modernen, heißt es, weicht vom ersten Ari-
stoteles hauptsächlich (presertim) in der Universalienfrage ab, die
den Angelpunkt und die Grundlage aller Kunst und Wissenschaft
bildet. Insbesondere geht der Streit um folgende Einzelprobleme:
ob die Universalien außerhalb der Seele, ob sie getrennt von den
Einzeldingen oder auch in diesen existieren, ob sie als Materie, als
Form oder als ein Zusammengesetztes von beiden bestehen, ob sie
körperlicher Natur sind und ob sie durch die fünf Prädikabilien des
Porphyrius erschöpfend dargestellt werden. In der Tat dreht sich
dann die weitere Erörterung ausschließlich um diese Fragen, und
sehr bald wird deutlich, daß die uns wohlbekannte Besorgnis, die
„moderne“ Erkenntnistheorie möchte die metaphysische Bedeu-
tung der auf die Universalbegriffe angewiesenen wissenschaftlichen
via nominalium. Als „Schimpfname“' kann die Bezeichnung nominales also
nicht durchweg empfunden worden sein. Die moderni vermieden sie aus den
im Text angedeuteten Gründen zumeist, scheuten sich aber auch nicht, ihren
Nominalismus bei Gelegenheit offen zu bekennen. Vgl. die Zitate bei Mest-
werdt, a. a. O. 116, N. 3 und die zahlreichen Titel von gedruckten Schul-
büchern der Modernen, die sich als nominalistisch selber ankündigen (bei
Prantl).
1 Vgl. dazu die zutreffenden Bemerkungen Hermelinks, Theol. Fak. 100,
A. 5, im Anschluß an Prantl III, 344, A. 780.
2 Problemata inter albertum magnumetsanctumtho)nam.,gedr. Köln 1490.
Münchener St.-Bibi.) Bei Prantl IV 182ff. besprochen (nach d. Ausgabe
1496); ibid. Abdruck des Anfangs.