Metadaten

Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0101
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Studien zur Spätscholastik. II.

101


man voraussetzt, es habe Thomisten, Skotisten und Okkamisten
so gut auf seiten der einen wie der andern Schulrichtung ge-
geben1.
Wesentlich anders steht es mit der (durch Benarys Einfall
angeregten) Frage, ob nicht die tieferen philosophischen Differenzen
zwischen den beiden Schulen zugleich methodologische Verschieden-
heiten im Gefolge, als Parallelerscheinung oder gar als treibendes
Motiv aufweisen. Es gibt Äußerungen der Quellen — wie sich so-
gleich zeigen wird —, die eine solche Meinung zu stützen scheinen;
und jedenfalls ist es für unser Urteil über die historische Bedeutung
der via antiqua von Wichtigkeit, zu ermitteln, ob mit ihr die Idee
einer methodischen Reform des Wissenschaftsbetriebes verbunden
war und wieweit sie mit einer solchen Reform durchdrang.
Die Vermutung liegt sehr nahe, daß die via antiqua mit ihrer
allgemeinen Reform des Studiums auch eine Vereinfachung des
unendlich schwerfälligen Beweis- und Darstellungsverfahrens be-
zweckt habe, wie es sich in der spätmittelalterlichen Literatur
findet, in den akademischen Disputationen geübt wurde, unzweifel-
haft auch den Gang der Vorlesungen verlangsamte und sie inhalt-
lich verödete2. Ein Vergleich der Schriften des Thomas mit denen
der Spätzeit zeigt ganz deutlich bei dem älteren Autor eine größere
Knappheit und Sachlichkeit. So sinnlose und törichte Fragen, wie
sie die spätscholastische Literatur massenhaft darbietet, findet man
dort nirgends. Der Ballast der angeführten Autoritäten ist viel
geringer, der Anschluß an den Text des Aristoteles enger, der Gang
des Beweisverfahrens schneller; zahllose Schnörkel und Pedan-
terien der späteren Zeit fehlen. War nicht zu erwarten, daß der
Neuthomismus auch diese Vorzüge seines Meisters erneuern werde ?
1 Auch Scheel, Luther I3, (1921), p. 304 N. 2, lehnt die Hypothese
Benarys ab. Sie „kranke an der Verwechselung des formal-methodischen
und erkenntnistheoretischen Problems“. Er verweist auf Petrus Hispanus, der
„Realist“ war und doch zu den Schöpfern der von Benary als „modern“
gekennzeichneten Methode gehört habe. Diesen Einwand würde B. ablehnen,
da er ja gerade die Möglichkeit einer „realistischen“ Erkenntnistheorie in via
mocLerna behauptet! Treffender ist Seins Hinweis darauf, daß die Quellen
unbefangen von via Alberti, Thome, Scoti usw. reden, ohne sich streng an den
von B. betonten Wortsinn der via (= formale Methode) zu halten, insbesondere
auf das Nebeneinander einer via Scoti und Thome in Wittenberg vor dem dor-
tigen Auftreten okkamistischer Lehrer.
2 Schilderung dieses Verfahrens in der Literatur s. Studie I, 72 ff. Für
die Disputationen und Vorlesungen vgl. Bd. I meiner Gesch. der Univ.
Heidelberg.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften