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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0102
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102

Gerhard Ritter:



Benary geht hei der Aufstellung seiner Hypothese von jenem
(bereits erwähnten) Beschluß der Heidelberger Artistenfakultät
aus, den sie im April 1452 zur Abwehr der thomistischen Neuerun-
gen faßte: es solle dabei bleiben, daß die Magister ihre Texte lesen
cum questionibus et dubiis secundum communes titulos magistrorum
cum commento. Er legt großes Gewicht darauf, daß hier die Ma-
gister von der Eigenart ihrer Methode zu sprechen scheinen. Auch
wir haben schon bei der frühem Besprechung dieser Stelle (o. S. 58)
anerkannt, daß der Wortlaut in der Tat darauf hinzudeuten scheint,
daß die Thomisten eine andere Lehrmethode, vermutlich den Rück-
gang auf die originalen Texte des Aristoteles an Stelle der Häufung
von Quästionen und der Bevorzugung von Kommentaren gefordert
hatten. Indessen mahnt es zur Vorsicht, daß dieser Wortlaut, der
schon in den Beratungen von 1444 ebenso sich aufgezeichnet findet
(observare modum legendi cum questionibus) einfach aus den alten
Fakultäts-Statuten herübergenommen ist1. Dadurch verliert die
Stelle an Beweiskraft, und man wird gut tun, den größeren Nach-
druck auf die unmittelbare Fortsetzung zu legen, in der von dem
Inhaltlichen, der Lehrtradition des Marsilius, die Rede ist. Immer-
hin zeigen schon die an derselben Stelle aufgezeichneten Kommis-
sionsberatungen vom Sommer 1452 (s. o. S. 59), daß man sich sogar
auf seiten der via moderna großer pädagogischer und methodischer
Mängel des herkömmlichen Unterrichtbetriebes bewußt war ver-
mutlich also auf der Gegenseite noch stärker.
Viel beweiskräftiger für die in Rede stehende Vermutung ist
eine Stelle aus der Rede des Vizekanzlers Stephan Hoest bei der
Magisterpromotion der via antiqua von 14682. Hier rühmt er, selber
ein Angehöriger des andern Lagers, als den besonderen Vorzug der
via antiqua, daß sie sich eng an die aristotelischen Texte und ihre
Reihenfolge anlehne; das sei die Probe auf ein tieferes Verständnis
der Sache und besonders auf die Zuverlässigkeit des Gedächtnisses.
In den Quästionen, die mühsam aus den Texten eruiert werden
müssen, bleibe doch nicht der frische Wohlgeschmack (succus) der
Originale erhalten; auch präge sich fester ein, was man in der Ord-
nung und Knappheit der Texte zu sich nehme. Ein weiterer Vorzug
dieser Methode bestehe darin, daß die Originaltexte nur das wirk-
lich Nützliche und zur Sache Gehörige behandelten, alles i ber-
flüssige und Unnütze aber vermieden. Denn allzuhäufig ließen sich

1 U. B. I, p. 36, Z. 32, 41 Z. 4.

2 S. Beilage 1,1.
 
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