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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0103
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Studien zur Spätscholastik. II.

10,1

die Verfasser von Quästionen und Kommentaren verführen,
wortreich zu werden, unter dem Anschein des Scharfsinns mit
überflüssigen und spitzfindigen Erörterungen die Leser und Hörer
zu ermüden und mehr zu Schwätzern als zu Gelehrten zu erziehen.
Die richtige Methode aber bestünde darin (wie auch Cicero uns
lehren könne), sich an den wesentlichen Kern der Texte zu halten
und nicht lange bei unnötigen Subtilitäten zu verweilen. Nur so
könne es gelingen, über die unfruchtbaren dialektischen Klopf-
fechtereien (steriles dialectice clamositatis disputationes) hinauszu-
kommen und, ohne darüber alt und grau zu werden, die ganze
Stufenfolge der wissenschaftlichen Disziplinen zu erklimmen — aus
den logischen Elementen des Wissens also zur Sachwissenschaft zu
gelangen1. Das sind in der Tat sehr lehrreiche Äußerungen. Sie
werden bestätigt und ergänzt durch parallele Bemerkungen in der
Ansprache desselben Redners bei der Promotion moderner Magi-
stranden, ein halbes Jahr später2: da betont er, diesmal vor An-
gehörigen seiner eigenen via mit fühlbar stärkerer Überzeugung, die
aristotelischen Texte seien trotz ihrer Vortrefflichkeit doch äußerst
dunkel. Es sei das Verdienst der „Modernen“, sie durch Erläu-
terung in flüssigerer, leichterer Sprache, durch Ausgleich von offen-
baren Widersprüchen u. dgl., kurz durch moderne Zutaten und
Umschreibungen in knapper Handbuchform (expedito compendio)
erst recht zugänglich zu machen. Die Dunkelheiten und Probleme
der älteren Philosophie aufzuklären, sei überhaupt das Kennzeichen
der modernen Schule; dazu sei ihr die nominalistische Grund-
stellung besonders nützlich, indem sie die Verworrenheit der All-
gemeinbegriffe auflöse. Sie erhebe sich selbständig über das Fun-
dament der Texte hinweg zur Erörterung der schwierigsten Pro-
bleme; dabei bestünde dann freilich die Gefahr, daß die solide
Grundlage des Gedankenbaus ins Schwanken geriete, und der
Redner mahnt deshalb seine Zuhörer, auf das Studium der aristo-
telischen Texte mit Hilfe von Kommentaren ja recht großen Wert
zu legen, damit ihr Wissen die sichere Unterlage nie verliere. —
Somit erhalten wir eine ziemlich deutliche Anweisung, in welchen
Punkten sich die Lehrmethoden der beiden viae voneinander unter-
scheiden: die einen halten sich mehr an den ursprünglichen Wort-
1 Diese Wendung des Gedankens im Munde eines „modernen“ Theologen
kann zugleich als neuer Beleg dafür dienen (wenn ein solcher noch nötig er-
scheinen sollte), daß auch den moderni die Sachwissenschaften wichtiger
waren als die bloße Dialektik. 2 S. Beilage 1, II.
 
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