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Gerhard Ritter:
leicht begreiflich ist die Tatsache, daß die Kommentare zu logischen
Texten ausführlicher ausfallen, als die zu den naturphilosophischen
Schriften; die angebliche Neigung der antiqua zu den Realwissen-
schaften an Stelle der sermozinalen Disziplinen rückt dadurch frei-
lich in eine merkwürdige Beleuchtung.
Nun ist aber die Erörterung ohne Quästionen durchaus nicht
die einzige Form der Kommentare neuthomistischer und neu-
skotistischer Autoren. Vielfach werden zur Erläuterung des Textes
kürzere oder längere Quästionen in dem üblichen, wenn auch oft
abgekürzten Schema eingeschoben; gewöhnlich wird dabei der
Text in kürzere Abschnitte zerlegt, deren wesentlicher Inhalt dann
in der eingeschobenen Quästion zur Sprache kommt. Diesem
Typus gehören u. a. an: ein thomistischer Abriß der gesamten
Naturphilosophie von Johannes Versor1 und ein umfassendes
Handbuch der gesamten Philosophie von Petrus Tartaretus, das
den ganzen Umkreis der akademischen Vorlesungen vom aristo-
telischen Organon bis zur Metaphysik nach Duns Skotus behan-
delt, nur die Ethik übergeht und als unmittelbare Fortsetzung
seiner (bereits erwähnten) Schrift über die summwla des Petrus
Hispanus zu betrachten ist2. Verhältnismäßig am ausführlichsten
sind auch hier die Quästionen zur Logik gehalten; im ganzen aber
kann man feststellen, daß die Erörterung weniger umständlich ist
und seltener ab schweift, als etwa in den Schriften des Marsilius
von Inghen. Auch tritt der Text des Aristoteles viel stärker her-
vor, während er bei Marsilius hinter den selbstgestellten Fragen
vollständig verschwunden war. Die Quästionen dienen nur noch
zur Erläuterung des Textes, nicht mehr zur Entwicklung eigener
Ideen des Kommentators.
Bedeutete das wenigstens pädagogisch betrachtet einen Fort-
schritt ? Sicherlich gegenüber einem so unerträglich weitschweifigen
Werke, wie dem großen Kommentar des Marsilius de generatione et
corruptione. Andere Schriften dieses Autors dagegen, wie den knap-
pen, vielstudierten Abriß der Dialektik, die Metaphysik und selbst
den physikalischen Grundriß3 möchte ich auch als Lehrbücher eher
bevorzugen; sie erreichen gerade dank ihrer völligen Loslösung vom
Text der Vorlage vielfach eine gedrungene Klarheit, eine über-
1 Hain 16047 (U. B. Heidelberg), Coloniae 1489. Zur Benutzung Ver-
sors in Heidelberg vgl. U. B. I, p. 217, Z. 38. 2 Totius philosophiae . . . ex-
positio. Impr. Nik. Wolff alemani, s. 1. 1506. (U. B. Hdbg.) 3 Vgl. Studie I,
Drucke Nr. 6, 2, 12 (p. 192ff.), Hs. Nr. 75 (p. 191).
Gerhard Ritter:
leicht begreiflich ist die Tatsache, daß die Kommentare zu logischen
Texten ausführlicher ausfallen, als die zu den naturphilosophischen
Schriften; die angebliche Neigung der antiqua zu den Realwissen-
schaften an Stelle der sermozinalen Disziplinen rückt dadurch frei-
lich in eine merkwürdige Beleuchtung.
Nun ist aber die Erörterung ohne Quästionen durchaus nicht
die einzige Form der Kommentare neuthomistischer und neu-
skotistischer Autoren. Vielfach werden zur Erläuterung des Textes
kürzere oder längere Quästionen in dem üblichen, wenn auch oft
abgekürzten Schema eingeschoben; gewöhnlich wird dabei der
Text in kürzere Abschnitte zerlegt, deren wesentlicher Inhalt dann
in der eingeschobenen Quästion zur Sprache kommt. Diesem
Typus gehören u. a. an: ein thomistischer Abriß der gesamten
Naturphilosophie von Johannes Versor1 und ein umfassendes
Handbuch der gesamten Philosophie von Petrus Tartaretus, das
den ganzen Umkreis der akademischen Vorlesungen vom aristo-
telischen Organon bis zur Metaphysik nach Duns Skotus behan-
delt, nur die Ethik übergeht und als unmittelbare Fortsetzung
seiner (bereits erwähnten) Schrift über die summwla des Petrus
Hispanus zu betrachten ist2. Verhältnismäßig am ausführlichsten
sind auch hier die Quästionen zur Logik gehalten; im ganzen aber
kann man feststellen, daß die Erörterung weniger umständlich ist
und seltener ab schweift, als etwa in den Schriften des Marsilius
von Inghen. Auch tritt der Text des Aristoteles viel stärker her-
vor, während er bei Marsilius hinter den selbstgestellten Fragen
vollständig verschwunden war. Die Quästionen dienen nur noch
zur Erläuterung des Textes, nicht mehr zur Entwicklung eigener
Ideen des Kommentators.
Bedeutete das wenigstens pädagogisch betrachtet einen Fort-
schritt ? Sicherlich gegenüber einem so unerträglich weitschweifigen
Werke, wie dem großen Kommentar des Marsilius de generatione et
corruptione. Andere Schriften dieses Autors dagegen, wie den knap-
pen, vielstudierten Abriß der Dialektik, die Metaphysik und selbst
den physikalischen Grundriß3 möchte ich auch als Lehrbücher eher
bevorzugen; sie erreichen gerade dank ihrer völligen Loslösung vom
Text der Vorlage vielfach eine gedrungene Klarheit, eine über-
1 Hain 16047 (U. B. Heidelberg), Coloniae 1489. Zur Benutzung Ver-
sors in Heidelberg vgl. U. B. I, p. 217, Z. 38. 2 Totius philosophiae . . . ex-
positio. Impr. Nik. Wolff alemani, s. 1. 1506. (U. B. Hdbg.) 3 Vgl. Studie I,
Drucke Nr. 6, 2, 12 (p. 192ff.), Hs. Nr. 75 (p. 191).