Studien zur Spätscholastik. II.
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sichtliche Gliederung des Stoffes, die den reinen Textkommentaren
naturgemäß versagt bleiben mußte. Auch die spätere Literatur
der Modernen scheint mir nicht durchweg im Nachteil gegenüber
den antiqui. Gewiß fehlt es nicht an überaus weitschweifigen Dar-
stellungen. Die große „Physik“ des Paulus Venetus von 14091, ge-
hört zu den umfänglichsten Leistungen der nominalistischen Schule.
Doch ist der äußere Umfang dieses riesigen Folianten (ausschl. Re-
gister 49 Lagen zu je 16—20 zweispaltigen, mit stark kürzenden
Abbreviaturen eng bedruckten Seiten!) nicht so sehr durch sophi-
stische Abschweifungen, als durch die fortlaufende Erklärung des
Averroes neben der des aristotelischen Textes bedingt — ein Ver-
fahren, das sich aus dem besonderen Ansehen des arabischen Kom-
mentators in Italien recht wohl begründen läßt. Die Quästionen-
form dient auch hier nur dazu, den Inhalt der beiden Vorlagen
knapp und präzise zusammenzufassen und zu erläutern. Seine
eigenen Zutaten schiebt der Verfasser — eines der bedeutendsten
italienischen Schulhäupter der Nominalisten — in längeren Erör-
terungen zwischen die einzelnen capitula „des Philosophen“ (Ari-
stoteles) ein (dubitatur an, respondetur, in oppositum arguitur u. ä.),
ohne sich dabei an das Quästionenschema2 zu binden. Viel schul-
mäßiger wird dieses Schema innegehalten in den (mehrere Genera-
tionen später geschriebenen) Kommentaren des Thomas Bricot
und Georgius Bruxellensis zur Logik, Naturphilosophie und
Metaphysik3. Das Verfahren ist aber hier im wesentlichen dasselbe
wie bei dem Skotisten Petrus Tartaretus: Wort- und Sinnerklärung
1 Exposilio Pauli Veneti super octo libros physicorum Aristotelis nec non
super comento Auerois cum dubiis eiusdem. Venedig (per Gregorium de Gregoriis)
1499. Das Jahr der Abfassung 1409 wird unmittelbar vor dem explicit genannt.
2 Vgl. darüber Studie I, p. 72ff.
3 Logica magistri Georgii inserto textu bricoti. f. 2a: Questiones Georgii in
logicam aristotelis una cum textu eiusdem paucis perstricto atque contracto opera
. . . Thome bricot . . ., qui omnia recognovit et emendavit . . . f. 274: impresse
Lugduni 1494. Behandelt Porphyrius (Prädikabilien und Prädikamente), Peri-
hermenias, Analytik I u. II, Topik u. Elenchi. — Textus abbreviatus Aristo-
telis super octo libris Phisicorum et tota naturali philosophia nuper a magistro
Thoma bricot . . . compilatus una cum continuatione textus magistri Georgii et
questionibus eiusdem de recenti ab eodem Thoma bricot revisus atque diligentis-
sime emendatus.Lugduni anno . . . 1486. Dieselbe Ausgabe wiederholt:
pro ritu famatissime parisiorum Academie a magistro Joanne higman et Vuulf-
gango hopyl in prememorata universitate laudatissima Anno . . . 1494. Umfaßt
die naturphilosophischen Schriften und die ersten 6 Bücher der Metaphysik.
— Alle 3 Drucke U. B. Heidelberg.
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sichtliche Gliederung des Stoffes, die den reinen Textkommentaren
naturgemäß versagt bleiben mußte. Auch die spätere Literatur
der Modernen scheint mir nicht durchweg im Nachteil gegenüber
den antiqui. Gewiß fehlt es nicht an überaus weitschweifigen Dar-
stellungen. Die große „Physik“ des Paulus Venetus von 14091, ge-
hört zu den umfänglichsten Leistungen der nominalistischen Schule.
Doch ist der äußere Umfang dieses riesigen Folianten (ausschl. Re-
gister 49 Lagen zu je 16—20 zweispaltigen, mit stark kürzenden
Abbreviaturen eng bedruckten Seiten!) nicht so sehr durch sophi-
stische Abschweifungen, als durch die fortlaufende Erklärung des
Averroes neben der des aristotelischen Textes bedingt — ein Ver-
fahren, das sich aus dem besonderen Ansehen des arabischen Kom-
mentators in Italien recht wohl begründen läßt. Die Quästionen-
form dient auch hier nur dazu, den Inhalt der beiden Vorlagen
knapp und präzise zusammenzufassen und zu erläutern. Seine
eigenen Zutaten schiebt der Verfasser — eines der bedeutendsten
italienischen Schulhäupter der Nominalisten — in längeren Erör-
terungen zwischen die einzelnen capitula „des Philosophen“ (Ari-
stoteles) ein (dubitatur an, respondetur, in oppositum arguitur u. ä.),
ohne sich dabei an das Quästionenschema2 zu binden. Viel schul-
mäßiger wird dieses Schema innegehalten in den (mehrere Genera-
tionen später geschriebenen) Kommentaren des Thomas Bricot
und Georgius Bruxellensis zur Logik, Naturphilosophie und
Metaphysik3. Das Verfahren ist aber hier im wesentlichen dasselbe
wie bei dem Skotisten Petrus Tartaretus: Wort- und Sinnerklärung
1 Exposilio Pauli Veneti super octo libros physicorum Aristotelis nec non
super comento Auerois cum dubiis eiusdem. Venedig (per Gregorium de Gregoriis)
1499. Das Jahr der Abfassung 1409 wird unmittelbar vor dem explicit genannt.
2 Vgl. darüber Studie I, p. 72ff.
3 Logica magistri Georgii inserto textu bricoti. f. 2a: Questiones Georgii in
logicam aristotelis una cum textu eiusdem paucis perstricto atque contracto opera
. . . Thome bricot . . ., qui omnia recognovit et emendavit . . . f. 274: impresse
Lugduni 1494. Behandelt Porphyrius (Prädikabilien und Prädikamente), Peri-
hermenias, Analytik I u. II, Topik u. Elenchi. — Textus abbreviatus Aristo-
telis super octo libris Phisicorum et tota naturali philosophia nuper a magistro
Thoma bricot . . . compilatus una cum continuatione textus magistri Georgii et
questionibus eiusdem de recenti ab eodem Thoma bricot revisus atque diligentis-
sime emendatus.Lugduni anno . . . 1486. Dieselbe Ausgabe wiederholt:
pro ritu famatissime parisiorum Academie a magistro Joanne higman et Vuulf-
gango hopyl in prememorata universitate laudatissima Anno . . . 1494. Umfaßt
die naturphilosophischen Schriften und die ersten 6 Bücher der Metaphysik.
— Alle 3 Drucke U. B. Heidelberg.