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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0113
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Studien zur Spätscholastik. II.

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stionenform ähnlich wie Frühere nur noch zur präziseren Zusammen-
fassung und Erläuterung des Textinhaltes, ohne sich daran zu
binden, flicht in freier Erörterung häufig eine übersichtliche Dar-
legung der bestehenden Kontroversen ein und vertritt herzhaft
eine eigene Meinung, wobei er es verschmäht, sklavisch den an-
erkannten Schulautoritäten zu folgen. Während die Erfurter Mo-
dernen in bewußter Reaktion gegen den Neuthomismus das Pro-
gramm verfolgen, die Lehren der nominalistischen Schulhäupter
durch kompendiöse Zusammenstellung ihrer Ansichten zu erneu-
ern1, meint man in dem Buche des Ingolstädter Professors bereits
ein wenig von dem Geiste humanistisch-aufgeklärter Gesinnung zu
spüren, die das Gewicht der traditionellen Schulgegensätze nicht
allzu schwer nehmen möchte und lieber die rein pädagogische Ab-
sicht betont, das Lehrverfahren so zweckmäßig wie möglich zu
gestalten.
Eben dieses Ideal erschien uns ja nun als ein besonderes Kenn-
zeichen der via antiqua! Liegt hier etwa eine Rückwirkung neu-
thomistischer (bzw. neuskotistischer) Reformtendenzen auf einen
freier denkenden Vertreter des andern Lagers vor? Man sieht, wie
schwierig es ist, aus der Vergleichung der beiderseitigen Lehrbuch-
literatur auf ihre Darstellungsmethoden zu einem klaren Ergebnis
zu gelangen. Was ihren Charakter entscheidend bestimmt, trifft
man in beiden Lagern an: das Vorherrschen des pädagogischen
über das wissenschaftliche Interesse. Die Form der summa, des
Lehr- und Handbuchs, hatte schon seit Jahrhunderten in der schola-
stischen Literatur immer größere Bedeutung gewonnen und herrschte
schon im 44. Jahrhundert durchaus vor. Aber unter dieser Lorm
war doch damals der Inhalt der Lehrtradition noch dauernd um-
und fortgebildet worden. Jetzt, d. h. in der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts, hat das so gut wie ganz aufgehört ; nur noch
die logische Disziplin treibt fortwährend neue Blüten, wie die Bil-
dung neuer Merkverse, die Erfindung neuer Komplikationen des
„terministischen“ Begriffsapparates u. dgl. Alles andere ist jetzt
völlig zu fester Tradition erstarrt. Indem aber so das pädagogische
Interesse zum beherrschenden für beide Parteien wird, setzt eine
gewisse späte Rückbildung der Distinktionen und Kontroversen in
1 Ygl. Trudvetter 1. c. fol. B la: nihil solidi atque firmi producere queant
gloriantes inventorum nuda sanctitate atque vetustate. In Wahrheit gelte von
den Autoritäten das Wort: Quanto iuniores, tanto perspicatiores, und so solle
denn dieses sein Buch doctrine recentioris penetralia referare.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1922. 7. Abh. 8
 
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