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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0140
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140

Gerhard Ritter:

der Vorgang vor der Annahme eines näheren Verhältnisses der via
antiqua zu der humanistischen Kritik in religiösen Dingen warnen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen denn auch die Einzel-
studien Paul Mestwerdts, der das Verhältnis der via antiqua zur
devotio moderna und zu einzelnen hervorragenden Vertretern jenes
religiös gestimmten Humanismus — Agrikola, Hegius, Erasmus -
mit sorgfältig eindringender und ruhig abwägender Betrachtung
untersucht hat. Er stellt fest, daß die Frömmigkeitsideale der
,,Brüder vom gemeinsamen Leben“ keinerlei nähere Beziehung zu
einer der innerscholastischen Parteirichtungen besitzen, daß sie
vielmehr in ausgesprochenem Gegensatz zu den dogmatischen
Streitigkeiten der Schulen „grundsätzlich über die Festlegung auf
irgend eine theologische Erklärung und Entfaltung der christlichen
Glaubenstatsachen hinausstrebten“1. Aber auch die religiösen
Ideale der genannten Humanisten erweisen sich bei näherem Zu-
sehen in ihrem Kerne als wesensverschieden von allem, was der
scholastische Realismus reformerisch Gesinnten etwa zu bieten
hatte2. Die prinzipielle Wendung gegen die ganze Scholastik, die
dem Humanismus trotz aller Vermittlungsformen dem Wesen nach
innewohnt, und die sich gerade auf religiösem Gebiete auswirkt,
läßt sich schlechterdings nicht aus den Zielen einer Reaktions-
bewegung ableiten, die zur Hochscholastik zurückstrebte. Die
grundlegende Voraussetzung, von der die Vermutung Herme-
links ausgeht: die Behauptung der scholastische Realismus hätte
von Hanse aus ein Zurückgehen auf die ursprünglichen Quellen des
Christentums, auf die einfachen Gebote Christi und seiner Apostel,
gefordert3, erweist sich — das muß deutlich gesagt werden — als
eine unbegründete Phrase.
Somit bleibt von den angeblichen inneren Beziehungen der
via antiqua zu den religiösen Idealen der Humanisten und der
devotio moderna, wie es scheint, nichts Greifbares übrig. Vielleicht
steht es ein wenig anders mit ihrem Verhältnis zur deutschen Mystik.
1 1. c. 112. 2 Ibid. 168ff. u. passim. 3 Relig. Reformbestrebungen
p. 12. — Wenn Mestwerdt von Hermelinks Darstellung glaubt soviel fest-
halten zu dürfen, daß die Realisten im Gegensatz zu den Modernen einen
„gereinigten“ Aristoteles gefordert hätten (p. 326), so ist das offenbar ein
Mißverständnis ihrer früher besprochenen methodischen Reformbestrebungen.
Der „gereinigte“ Aristoteles ist erst eine Forderung der Humanisten so gut
wie die gereinigte biblische Überlieferung. Dasselbe gilt von dem angeblich
„realistischen“ Reformprogramm des Latomus für die philosophischen Stu-
dien (p. 329).
 
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