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Gerhard Ritter:
Auch innerhalb dieser engeren Schranken gab es nun
freilich eine kirchlich zwar streng gebundene, aber religiös
durchaus lebendige Reformbewegung seit dem Abschluß der großen
Konzilien; sie führte über die Ordensreformen des ausgehenden
fünfzehnten Jahrhunderts zu den innerkatholischen Reformbestre-
bungen des sechzehnten hinüber. Vielleicht täte man besser, sie
„Restauration“ statt „Reform“ zu nennen. Denn das Vor-
bild einer nahen', ideal gedachten Vergangenheit, nicht ein geschicht-
lich neues Moment des religiösen Geistes war ihr treibendes
Motiv. Innerhalb dieser Bewegung findet auch die via antiqua
(wie mir scheint) ihren historischen Platz — nicht auf der Seite
der kirchlichen Opposition, sondern eher an der Seite des Papst-
tums, das sich nach dem Ansturm der konziliaren Bewegung seit
der Mitte des Jahrhunderts zu restaurieren begann. Auch hier
freilich gilt es, nicht voreilig zu kombinieren. Wir haben bereits
früher gesehen (s. o. S. 32/3), daß durchaus kein unmittelbarer
kirchenpolitischer Zusammenhang zwischen der Restauration des
Papsttums und dem Aufkommen der thomistisch-skotistischen Re-
aktionsbewegung nachzuweisen ist. Man hat es eben mit einem
Schulstreit zu tun, der von ferne gesehen die Interessen der großen
kirchenpolitischen Mächte gar nicht zu berühren schien. Dennoch
ist es zum mindesten sehr wahrscheinlich, daß die Restauration
des Thomismus mit dazu beigetragen hat, diejenigen theologischen
Vorstellungen erneut zu verfestigen und zu verhärten, auf denen
das System der mittelalterlichen Papstkirche ruhte. Das fast
kanonische Ansehen, das Thomas von Aquino schon im 15. Jahr-
hundert genoß, ist freilich nicht erst durch die via antiqua begründet
worden. Der Doctor sanctus angelicus und seine Theologie waren
seit langem einigermaßen über den Streit der Schulen erhaben. Die
„okkamistische“ Universität Heidelberg beschloß schon 1393, das
Fest des hl. Thomas alljährlich durch Ausfall der Vorlesungen zu
feiern* 1, und Abweichungen von seiner Lehre begründete Marsilius
von Inghen stets unter besonderen Respektbezeugungen (salvareve-
rentia scti. doctoris u. ä.). Immerhin bedeutete es eine gewaltige
Verstärkung dieser Autorität, wenn das Ganze der thomistischen
beginnen will; J. W. ist entrüstet über die religiösen Leitsätze des Mystikers
wie den: Wage mich an got, got waget sich an mich, den er für eine direkte Ver-
suchung des Teufels erklärt. Ich behalte mir vor, über den Brief (26. 3. 1442,
im God. 190 der Mainzer Stadtbibi., fol. 151toff.) an anderer Stelle zu berichten.
1 U. B. II, 57.
Gerhard Ritter:
Auch innerhalb dieser engeren Schranken gab es nun
freilich eine kirchlich zwar streng gebundene, aber religiös
durchaus lebendige Reformbewegung seit dem Abschluß der großen
Konzilien; sie führte über die Ordensreformen des ausgehenden
fünfzehnten Jahrhunderts zu den innerkatholischen Reformbestre-
bungen des sechzehnten hinüber. Vielleicht täte man besser, sie
„Restauration“ statt „Reform“ zu nennen. Denn das Vor-
bild einer nahen', ideal gedachten Vergangenheit, nicht ein geschicht-
lich neues Moment des religiösen Geistes war ihr treibendes
Motiv. Innerhalb dieser Bewegung findet auch die via antiqua
(wie mir scheint) ihren historischen Platz — nicht auf der Seite
der kirchlichen Opposition, sondern eher an der Seite des Papst-
tums, das sich nach dem Ansturm der konziliaren Bewegung seit
der Mitte des Jahrhunderts zu restaurieren begann. Auch hier
freilich gilt es, nicht voreilig zu kombinieren. Wir haben bereits
früher gesehen (s. o. S. 32/3), daß durchaus kein unmittelbarer
kirchenpolitischer Zusammenhang zwischen der Restauration des
Papsttums und dem Aufkommen der thomistisch-skotistischen Re-
aktionsbewegung nachzuweisen ist. Man hat es eben mit einem
Schulstreit zu tun, der von ferne gesehen die Interessen der großen
kirchenpolitischen Mächte gar nicht zu berühren schien. Dennoch
ist es zum mindesten sehr wahrscheinlich, daß die Restauration
des Thomismus mit dazu beigetragen hat, diejenigen theologischen
Vorstellungen erneut zu verfestigen und zu verhärten, auf denen
das System der mittelalterlichen Papstkirche ruhte. Das fast
kanonische Ansehen, das Thomas von Aquino schon im 15. Jahr-
hundert genoß, ist freilich nicht erst durch die via antiqua begründet
worden. Der Doctor sanctus angelicus und seine Theologie waren
seit langem einigermaßen über den Streit der Schulen erhaben. Die
„okkamistische“ Universität Heidelberg beschloß schon 1393, das
Fest des hl. Thomas alljährlich durch Ausfall der Vorlesungen zu
feiern* 1, und Abweichungen von seiner Lehre begründete Marsilius
von Inghen stets unter besonderen Respektbezeugungen (salvareve-
rentia scti. doctoris u. ä.). Immerhin bedeutete es eine gewaltige
Verstärkung dieser Autorität, wenn das Ganze der thomistischen
beginnen will; J. W. ist entrüstet über die religiösen Leitsätze des Mystikers
wie den: Wage mich an got, got waget sich an mich, den er für eine direkte Ver-
suchung des Teufels erklärt. Ich behalte mir vor, über den Brief (26. 3. 1442,
im God. 190 der Mainzer Stadtbibi., fol. 151toff.) an anderer Stelle zu berichten.
1 U. B. II, 57.