Studien zur Spätscholastik. II.
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hatte und darum solche Beobachtungen am besten ermöglicht -
wie sich das Zusammenleben der beiden viae, praktisch gestaltete,
so wird das soeben ausgesprochene Ergebnis vollends bestätigt.
Vor allem fällt auf, wie geringfügig die sachlichen Unterschiede der
Lehre in Wahrheit gewesen sein müssen bei so vollkommener
Parallelität der Arbeit. Da kommen dauernd Übertritte von einer
tna zur andern vor, die anfangs verboten, schließlich aber durch
Erleichterung der Vorbedingungen für das Examen gewissermaßen
organisiert werden1. Die quodlibetarische Disputation, der große
jährliche Schulakt der Artisten, wird gemeinsam abgehalten2, die
Ethik wird jahrzehntelang von einem Magister für beide Wege
gelesen3. Sogar die Teilnahme von „Modernen“ an den Prüfungen
der antiqui und umgekehrt kann die Fakultät in Ausnahmefällen
beschließen4. Die Gemeinsamkeit des Lehrplanes bis in die Einzel-
heiten hinein wurde schon früher besprochen. Das alles hindert
freilich nicht, daß erbitterte Kämpfe zwischen den Parteien be-
stehen, daß es zu Schimpfworten, ja zu blutigen Schlägereien der
Scholaren kommt. Soweit es sich dabei um Gegensätze unter den
Studierenden handelt, nimmt dergleichen nicht wunder. Jugend-
liche Rauflust bedarf keines ernsthaften Anlasses, und die Paral-
lelen aus dem Leben heutiger Schulen und Universitäten ließen
sich leicht finden. Aber auch die Reibungen unter den Magistern
sind unschwer zu durchschauen. Was zumal gegen Ende des Jahr-
hunderts das Verhältnis der beiden Schulen immer wieder ver-
giftet, ist das gegenseitige Wegfangen der Schüler, durch Ein-
ladung in die Bursen, durch Erleichterung der Prüfungen: wirt-
schaftlicher und persönlicher Zank ohne Ende. Der sachliche
Gegenstand des Streites versinkt im Laufe der Zeit in immer nebel-
haftere Ferne. Die Routine des Schulbetriebs verlangt nach bequem
faßlichen Handbüchern; auf ein paar Anleihen im anderen Lager
kommt es dabei nicht mehr an. Die großen philosophischen Kontro-
versen, denen der Meinungskampf einst entsprungen war, sind ohne-
dies längst ins Vergessen geraten. Eine neue Generation wächst
heran, erfüllt von literarisch-ästhetischen Interessen, die nicht
mehr einzusehen vermag, um was dieser Schulzank eigentlich geht
und warum er ewig fortdauern soll. Eine Universität nach der
andern gibt das schal gewordene Herkommen auf, beseitigt die
1 U. B. I, Nr.114 (1455); a. f. a. III, 6-7 (1501). 2 a. f. a. II, 32b (1456,
Beiziehung von Magistern beider viae zu den Anordnungen). 3 S. o. p. 97.
4 a. f. a. III, 8.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1922. 7. Abh.
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hatte und darum solche Beobachtungen am besten ermöglicht -
wie sich das Zusammenleben der beiden viae, praktisch gestaltete,
so wird das soeben ausgesprochene Ergebnis vollends bestätigt.
Vor allem fällt auf, wie geringfügig die sachlichen Unterschiede der
Lehre in Wahrheit gewesen sein müssen bei so vollkommener
Parallelität der Arbeit. Da kommen dauernd Übertritte von einer
tna zur andern vor, die anfangs verboten, schließlich aber durch
Erleichterung der Vorbedingungen für das Examen gewissermaßen
organisiert werden1. Die quodlibetarische Disputation, der große
jährliche Schulakt der Artisten, wird gemeinsam abgehalten2, die
Ethik wird jahrzehntelang von einem Magister für beide Wege
gelesen3. Sogar die Teilnahme von „Modernen“ an den Prüfungen
der antiqui und umgekehrt kann die Fakultät in Ausnahmefällen
beschließen4. Die Gemeinsamkeit des Lehrplanes bis in die Einzel-
heiten hinein wurde schon früher besprochen. Das alles hindert
freilich nicht, daß erbitterte Kämpfe zwischen den Parteien be-
stehen, daß es zu Schimpfworten, ja zu blutigen Schlägereien der
Scholaren kommt. Soweit es sich dabei um Gegensätze unter den
Studierenden handelt, nimmt dergleichen nicht wunder. Jugend-
liche Rauflust bedarf keines ernsthaften Anlasses, und die Paral-
lelen aus dem Leben heutiger Schulen und Universitäten ließen
sich leicht finden. Aber auch die Reibungen unter den Magistern
sind unschwer zu durchschauen. Was zumal gegen Ende des Jahr-
hunderts das Verhältnis der beiden Schulen immer wieder ver-
giftet, ist das gegenseitige Wegfangen der Schüler, durch Ein-
ladung in die Bursen, durch Erleichterung der Prüfungen: wirt-
schaftlicher und persönlicher Zank ohne Ende. Der sachliche
Gegenstand des Streites versinkt im Laufe der Zeit in immer nebel-
haftere Ferne. Die Routine des Schulbetriebs verlangt nach bequem
faßlichen Handbüchern; auf ein paar Anleihen im anderen Lager
kommt es dabei nicht mehr an. Die großen philosophischen Kontro-
versen, denen der Meinungskampf einst entsprungen war, sind ohne-
dies längst ins Vergessen geraten. Eine neue Generation wächst
heran, erfüllt von literarisch-ästhetischen Interessen, die nicht
mehr einzusehen vermag, um was dieser Schulzank eigentlich geht
und warum er ewig fortdauern soll. Eine Universität nach der
andern gibt das schal gewordene Herkommen auf, beseitigt die
1 U. B. I, Nr.114 (1455); a. f. a. III, 6-7 (1501). 2 a. f. a. II, 32b (1456,
Beiziehung von Magistern beider viae zu den Anordnungen). 3 S. o. p. 97.
4 a. f. a. III, 8.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1922. 7. Abh.
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