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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1924/25, 7. Abhandlung): Eine delphische Mirakelinschrift und die antiken Haarwunder — Heidelberg, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.38949#0010
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10

Otto Weinreich:

8. Endlich gehört hierher eines der αίτια, die sich an den
Namen der Venus Calva knüpfen. Serv. Dan. zur Aen. I, 720
(200, 24ff. Th.): quidam dicunt porrigine olim capülos cecidisse fe-
minis et Ancmn regem sane nxori stcituam ccdvam posuisse, quod
constitit piaculo; nam post omnibus feminis capilli renati
sunt, unde Institutmn, ut Calva Venus coleretur.
Götterwunder sind also 1., 2., 5., 6., 7., (8.); 2. und 7. durch
private Weihinschriften festgehalten, 1. aufgenommen in die offizi-
ellen Pieklametafeln des Heiligtums. Das Wunder in 1. wurde
durch rationelle Anwendung einer Salbe seitens des Götterarztes
erzielt. In den Bereich des Mythos führt 5. und 8., des Götter-
schwankes 6. Besonders hegen die Verhältnisse bei 3., wo es sich
um Parodie schwindelhafter Reiseromane handelt. Da ist es offen-
bar das tropische Klima, das so merkwürdige τέρατα hervorbringt,
aber doch nicht ganz ohne göttliche Einwirkung, denn es heißt am
Schluß: ταυτα ίόόντες ώς τό είκός έταράχθημεν και ηύχόμεθα τοΐς
θεοΐς άττοτρέψαι τό άλλόκοτον του φαντάσματος. Da Lukian ein-
gestandenermaßen (I, 2) bei jeder einzelnen seiner Parodien einen
bestimmten Autor im Auge hat (vgl. auch Rohde, Roman3, 205),
ist auch für das Haarwunder ein bestimmtes Vorbild vorauszusetzen;
schwerlich wird es in dem uns erhaltenen Material aus Pseud-
historie oder Reiseroman noch irgendwo stecken, ich fand wenigstens
nichts.
Von nichtantiken Haarwundern zog ich früher schon (Heil.
Wunder 89) ein orientalisches heran, aus der ’Ardschageschichte
bei Gurtiss, Ursemit. Reh. An christlichen ist kein Mangel, sowohl
in der Form von Heil- wie von Slrafwundern, bei denen Haar oder
Bart zur Strafe weggezaubert werden (z. B. Acta Sanct. Sept. II,
439 BC; Jan. I, 711 A; März III, 343DE). Straf- und Heil-
wunder verbindet die Vita Coemgeni des Abtes Iveivinus in Irland
(Act. Sanct. Juni I, 321, vgl. Günter, Christi. Legende d. Abend-
landes 33): ein Ritter Rotan vergaß über der Pflege seines schönen
Haares sein Seelenheil. Da schickt ihm Coemgenus ein Kopfwasser;
der Ritter wendet es an — und verliert sein ganzes Haar. Nun
erkennt er die Absicht des Heiligen, kommt und tut Bube. Darauf-
hin segnet Coemgen sein Haupt und das Haar wächst wieder, nicht
ganz so schön wie das erste, aber der Ritter war zufrieden. Auch
Antonius von Padua gibt Haare wieder (Act. Sanct. Febr. II, 725/6),
und andere Beispiele ließen sich aus den Act. Sanct. noch viele
anführen. Aber statt ihrer stehe, weil es so hübsch erzählt wird
 
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