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Saxl, Fritz [Hrsg.]; Nationalbibliothek <Wien> [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1925/26, 2. Abhandlung): Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters, 2: Die Handschriften der National-Bibliothek in Wien — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38875#0037
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Einleitung.

37

Ähnlich liegt der Fall beim Bild des Perseus. Die Araber identifizie-
ren Medusa mit dem Gül und stellen diesen bärtig dar (Abb.20).
Auf der Sternkarte der Handschrift sieht man den bärtigen Kopf
von rückwärts (Abb. 21); bei Dürer aber finden wir ein überraschen-
des Bild: Perseus hat an den Füßen nunmehr wieder die Flügel-
schuhe und in der Linken hält er das Haupt der Medusa von
Schlangenhaaren umwallt, ihre Zunge ist ausgestreckt (Abb. 22).
Medusa ist also ganz so dargestellt, wie sie schon auf den frühgrie-
chischen Darstellungen erscheint. So haben Dürer und seine Be-
rater hier, wie noch an einigen anderen weniger wichtigen Stellen
die echte Antike im Sinne der italienischen Renaissance-Bewegung1
an Stelle der arabisierten gesetzt, genau so wie er sich bemüht, an
die Stelle der wissenschaftlich-linearen Auffassung des Sternhim-
mels eine mythologisch-plastische zu setzen. Zweifellos tritt bei
Dürer das mathematisch-lineare Element viel stärker hinter dem
bildhaften zurück als bei dem Illustrator des Wiener Codex.
Doch auch außerhalb des engen Rahmens der Betrachtung
von Dürers Kunst, auch im Rahmen der allgemeinen Geschichte der
geistigen Strömungen kann unser Fall exemplarisch lehrreich sein.
Das abendländische Mittelalter hat das Erbe der griechischen
Astronomie in der Frühzeit im wesentlichen nur in mageren Aus-
zügen kennen gelernt. Die lateinische Aratea und deren Ableger
waren die wichtigste Quelle des abendländischen Wissens. Die Wis-
senschaft des frühen Mittelalters hat sich wenig für astronomische
Details interessiert. Man schrieb die Quellen ab, man kopierte die
Darstellungen der Sternbilder, aber, da der Sinn für den Vergleich
dieser überlieferten Bilder mit den Naturphänomenen keinen Anreiz
zur Entwicklung enthielt, konnten Texte und Bilder wissenschaft-
lich immer mehr verderben, die Bilder immer phantastischer und
wirklichkeitsferner werden.
Ganz anders war die Lage im frühmittelalterlichen Orient,
denn hier wurde das antike Erbe nicht nur erhalten, sondern ge-
mehrt, besonders auf dem Gebiet der Sternkunde.
Während die Aratea-Handschriften nur die altertümlichen
allgemeinen Bilder der Gesamtsphaera dem europäischen Mittel-
alter überlieferten, übernahmen die arabischen Astronomen vom
1 Wie Dürer setzt der italienische Illustrator des Scotus-Textes im God>
3394 das Bild des antikischen Perseus an Stelle jenes orientalisierten, den uns
die übrigen Scotus-Handschriften zeigen (Abb. 23b).
 
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