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Saxl, Astrolog. Iiss. II. Bd. Wien.
karte ist nicht mehr anonym. Drei Humanisten waren es, die ihr
Wille zur Erkenntnis des Kosmos zur Herstellung dieser Karte
trieb, die durch den Bilddruck vervielfältigt der Belehrung der
Vielen dienen soll, deren Interesse jetzt auf die Erkenntnis des
Himmels geht. Zweifellos erfassen wir in der Spannung zwischen
Mathematischem und Bildhaftem, die dieses Werk charakterisiert,
etwas für die Renaissance im allgemeinen und für Dürer speziell
Wesenhaftes. Alle Kämpfe Dürers um die Lösung des Problems
der gesetzmäßigen Proportion und Raumdarstellung sind Kämpfe
um den Ausgleich zwischen dem künstlerischen und mathematischen
Bild. Ein Jahr vor der Sternkarte ist die „Melencolia-I“ entstan-
den, dieses Bekenntnis vom Erleben des Zwiespalts zwischen Mathe-
matischem und Künstlerischem.
Als Dürer 1515, im Jahre nach den Meisterstichen, den Auf-
trag auszuführen hatte, die Himmelskarte zu umreißen, war diese
Aufgabe ihm im richtigen Augenblick gestellt. Da fand er eine
Lösung, die auch für unser Gefühl noch in gleicher Weise einen
Ausgleich zwischen dem Wissenschaftlich-Mathematischen und dem
Lebendig-Bildhaften geschaffen hat. Da entsteht die erste ge-
druckte Sternkarte des Abendlandes, unter die die drei Männer
mit Recht voll Stolz ihre Namen setzten:
Joannes Stabius ordinauit
Conradus Heinfogel stellas posuit
Albertus Dürer imaginibus circumscripsit.
IV. Mikrokosmos-Bilder.
Lassen die Sternbilderdarstellungen das kosmologische Denken
und Fühlen der mittelalterlichen Welt nur in einem Spiegel erkennen,
so geben uns die Mikrokosmos-Darstellungen unserer Hand-
schriften gleichsam ein direktes Bild von dem mittelalterlichen
Menschen, seinem Verhältnis zum Kosmos und von den Wand-
lungen dieses Verhältnisses vom 12. Jahrhundert bis zum Beginn
der Renaissance. Darum sei es gestattet, bevor wir die vierte
Gruppe unserer Handschriften behandeln, etwas näher auf die
Mikrokosmosbilder einzugehen.
Die älteste Darstellung der Wiener Sammlung ist die im
Cod. 12600 aus Kloster Prüfening. Das Schema verbildlicht die
Beziehung des Menschen zu den vier Elementen und Weltgegenden.
Der Mensch steht aufrecht auf der Erde und hält in den aus-
Saxl, Astrolog. Iiss. II. Bd. Wien.
karte ist nicht mehr anonym. Drei Humanisten waren es, die ihr
Wille zur Erkenntnis des Kosmos zur Herstellung dieser Karte
trieb, die durch den Bilddruck vervielfältigt der Belehrung der
Vielen dienen soll, deren Interesse jetzt auf die Erkenntnis des
Himmels geht. Zweifellos erfassen wir in der Spannung zwischen
Mathematischem und Bildhaftem, die dieses Werk charakterisiert,
etwas für die Renaissance im allgemeinen und für Dürer speziell
Wesenhaftes. Alle Kämpfe Dürers um die Lösung des Problems
der gesetzmäßigen Proportion und Raumdarstellung sind Kämpfe
um den Ausgleich zwischen dem künstlerischen und mathematischen
Bild. Ein Jahr vor der Sternkarte ist die „Melencolia-I“ entstan-
den, dieses Bekenntnis vom Erleben des Zwiespalts zwischen Mathe-
matischem und Künstlerischem.
Als Dürer 1515, im Jahre nach den Meisterstichen, den Auf-
trag auszuführen hatte, die Himmelskarte zu umreißen, war diese
Aufgabe ihm im richtigen Augenblick gestellt. Da fand er eine
Lösung, die auch für unser Gefühl noch in gleicher Weise einen
Ausgleich zwischen dem Wissenschaftlich-Mathematischen und dem
Lebendig-Bildhaften geschaffen hat. Da entsteht die erste ge-
druckte Sternkarte des Abendlandes, unter die die drei Männer
mit Recht voll Stolz ihre Namen setzten:
Joannes Stabius ordinauit
Conradus Heinfogel stellas posuit
Albertus Dürer imaginibus circumscripsit.
IV. Mikrokosmos-Bilder.
Lassen die Sternbilderdarstellungen das kosmologische Denken
und Fühlen der mittelalterlichen Welt nur in einem Spiegel erkennen,
so geben uns die Mikrokosmos-Darstellungen unserer Hand-
schriften gleichsam ein direktes Bild von dem mittelalterlichen
Menschen, seinem Verhältnis zum Kosmos und von den Wand-
lungen dieses Verhältnisses vom 12. Jahrhundert bis zum Beginn
der Renaissance. Darum sei es gestattet, bevor wir die vierte
Gruppe unserer Handschriften behandeln, etwas näher auf die
Mikrokosmosbilder einzugehen.
Die älteste Darstellung der Wiener Sammlung ist die im
Cod. 12600 aus Kloster Prüfening. Das Schema verbildlicht die
Beziehung des Menschen zu den vier Elementen und Weltgegenden.
Der Mensch steht aufrecht auf der Erde und hält in den aus-