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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0032
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Hans v. Schubert:

auch die des Bischofs zu Rom, wo blieb die Nachfolge der Apostel,
wo die des Petrus, auf der schließlich alle Konstruktion des geist-
lichen Rechtes beruhte ? In der feierlich-schweren Antwort, die
Gregor VII. auf Heinrichs IV. Ruf „Steige herab“ 1076 erließ, sprach
er im Namen Petri den Bann über den König und löste alle Unter-
tanen vom Eid der Treue* 1. Indem dieser große Stratege die
Mönche gegen die Weltgeistlichen, das Volk gegen die Pfarrer, die
Laienfürsten gegen die Geistlichen, alle gegen ihr königliches Haupt
erregte, erschütterte er jenes ganze auf persönlichem Treuver-
hältnis beruhende Rechtsgebäude, um auf seinen Trümmern das
alte Gebäude kirchlicher Ordnung aufzurichten, Augustins Staat
Gottes, aber mit dem Papstkaiser an der Spitze, dessen Tiara
die Krone ziert. Aus Liebe zur iustitia habe er es getan, wird als
sein letztes Wort berichtet. Was er unter dieser verstand, hat er
in 27 wuchtigen Sätzen niedergelegt, die sich lesen wie die Kapitel-
überschriften eines projektierten Buches über die Summe seiner
papalistischen Rechte2 und die in der Tat die Kapitel der Ge-
schichte in den nächsten 200 Jahren füllen. Die einzelnen Stufen
dieses Kampfes interessieren uns nicht mehr, wohl aber, daß der
negativen Arbeit der Rechtsvernichtung nun auch der positive Aus-
bau des eigenen Rechts mit neuen Mitteln und vollendeter Kunst
zur Seite geht, die klassische Kanonistik, die der Welt das Gegen-
stück zu Justinians Gesetzeswerk schenkt, das corpus iuris canonici.
Nicht nur die völlige Freiheit vom weltlichen Recht, auch der weit-
gehende Eingriff in dessen Sphäre und die Vorherrschaft des gött-
lichen vor dem weltlichen Recht sind hier festgelegt und gemeines
katholisches Kirchenrecht geworden3. Wie sich die unter solcher
Führung einheitlich-christliche Gesellschaftsordnung darstellt, das
kann man an den Meisterbüchern des Thomas von Aquino sehen,
in denen der mit aristotelischen Sätzen anerkannte Staat eingefügt
ist in das System der priesterlichen Weltherrschaft. Der grego-
rianische Gedanke hatte über den justinianeischen gesiegt. —- —
Lib. de lit. II, 538; I, 31. Kern, 1. c. S. 82ff.; Mirbt, Publizistik zur Zeit
Gregors VII. (1894) S. 547. Besonders bei Heinrich III. gewann solche Be-
trachtung ihr Recht. Von hier hatte sie dann Heinrich IV., s. oben S. 7.
1 Reg. Greg. III, 10a, ed. Caspar S. 270f. (Per tuam [Petri] potestatem
et auctoritatem Heinrico regi-totius regni Teutonicorum et Italiae guberna-
cula contradico et omnes Christianos a vinculo iuramenti, quod sibi fecerunt vel
facient, absolvo.)
2 Der sog. Dictatus Gregorii im Reg. Greg. II, 55a, ed. Caspar S. 201 f.
3 Stutz, KR., S. 316ff.
 
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